Spiels noch einmal
unwiderstehlich. Nach ein paar Minuten schlenderte er wieder zu uns rüber und setzte sich, im Gesicht ein befriedigtes Siegergrinsen. Die Beine des Stuhls schrammten misstönend über das Pflaster, als er ihn näher an den Tisch rückte. Auf dem Platz schienen die Schatten dunkler zu werden.
Hiero sah ihn gespannt an. »Also? Was sagt er?«
»Wer?«
Ich lachte gereizt. »Wer wohl? Was sagt er?«
Chip machte ein Gesicht, als hätte er gerade den Kanarienvogel gefressen. »Jungs, lasst mich nur machen, dann läuft die Sache. Der alte Louis wird vom Hocker fallen, wenn er ein paar Takte von uns hört.«
»Er hat gesagt, er will sich mit uns treffen? Echt?«
Aber Chip antwortete nicht, sondern schaute den Jungen nur mit einem lässigen Lächeln an. Er rührte seinen kalten Kaffee um, legte den Löffel behutsam auf dem Unterteller ab, nippte. Über den Rand der Tasse hinweg sah er mir in die Augen. »Ich könnte mir vorstellen, dass ich bei dieser Kellnerin Chancen habe. Was meinst du? Ist es einen Versuch wert?«
Mann, der Junge war so was von nervös! Er hielt es nicht länger aus. »Das ist überhaupt nicht witzig, Chip. Raus damit, was hat er gesagt?«
»Zu was?«
»Chip«, sagte ich.
Er sah mich an und seufzte. »Also gut. Montmartre, sagt er.«
»Montmartre? Wir sind in Montmartre. Was ist damit?«
»Nur die Ruhe, Junge. Wir sollen hier in Montmartre bleiben. Nur ein paar Stunden.« Er sah mich bedeutungsvoll an, eine Augenbraue gehoben. »Das wird ein toller Tag, Mann, das versprech ich dir. Du wirst begeistert sein.«
Ich spürte, wie mein Herz einen Moment lang aussetzte.
»Was soll das heißen, Chip?«, fragte Hiero. »Hat Louis was über Sid gesagt?«
Aber Chip kicherte nur leise wie damals, als wir noch Kinder waren.
Im hellen Tageslicht stiegen wir auf dem schlechten Pflaster zur Höhe des Montmartre hinauf. Ich war so nervös, dass meine Hände in der Manteltasche zitterten. Dieser verdammte Louis Armstrong. Wir verfielen in erschöpftes Schweigen. Ich warf immer wieder heimliche Blicke auf den Jungen. Die Hoffnung frisst an ihm wie ein Krebsgeschwür, dachte ich. Und ich musste die ganze Zeit an Ernst und Paul denken. Wir hätten nicht so schnell aufgeben dürfen. Oder wir hätten früher aus Berlin abhauen sollen. Wir hatten sie im Stich gelassen.
Die steilen Straßen waren merkwürdig still; ich wurde das Gefühl nicht los, in der falschen Stadt zu sein. In den Cafés und vor Ladeneingängen waren jetzt überall Gruppen von Leuten zu sehen, die Zeitung lasen und sich leise murmelnd unterhielten. Die Stimmung wirkte bedrückt.
»Was ist hier los?«, fragte Hiero nervös.
Ein Mann blickte auf und beobachtete ihn mit kalten Augen. Wir gingen weiter, immer nahe an den Häusern entlang, als suchten wir Deckung.
»Es ist fast wie in Berlin«, bemerkte Chip.
Ich runzelte die Stirn. »Noch nicht ganz.«
Chip führte uns zu einer Kirche, die sich hoch und schlank vor dem bedeckten Himmel abzeichnete. Der Turm wirkte spitz und gefährlich wie etwas aus einem Alptraum. Wir durchquerten einen dunklen Park mit vielen Bäumen und stiegen eine lange schmale Treppe hinauf. Hiero blieb hinter uns zurück. Er hielt sich am Geländer fest und schnaufte. Chip drehte sich grinsend nach ihm um.
»Ich dachte immer, ihr Trompeter habt so gute Lungen.« Er lachte.
Oben angekommen, beugte sich der Junge vor und keuchte und hustete.
Aber ich ließ mich nicht täuschen, ich wusste genau, dass es nicht der steile Aufstieg war, der ihm zu schaffen machte. In Berlin warst du eine große Nummer, dachte ich, aber hier hast du’s mit einem Genie zu tun. Da wirst du sehen, was du in Wirklichkeit drauf hast. Und das macht dir Angst, nicht?
Der Junge hustete wie blöd und spuckte einen schleimigen Klumpen aufs Pflaster.
»Mann, ich glaube, du hast deinen Blinddarm mit rausgewürgt«, spottete Chip. »Schau dir das mal an, Sid, so was hast du noch nicht gesehen. Ein paar Zähne sind auch dabei.«
Aber ich war nicht in der Stimmung für solche Blödeleien. Ich trat ans Geländer, umfasste mit beiden Händen das kalte Eisen und schaute hinunter auf die Treppe.
»Komm, Junge«, sagte Chip. »Setz dich hin und ruh dich aus. Wir machen eine Weile Pause.«
Ich weiß nicht, wie lange wir da standen. Unten auf der Straße lief eine dunkle Katze über das Pflaster. Jemand kippte eine Schüssel Waschwasser aus einem Fenster. Dann kam eine einsame Gestalt um die Ecke, die Arme und Beine sahen
grau und dünn aus in dem
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