Spiels noch einmal
zu nennen.«
Hiero war hinter uns zurückgeblieben, als wollte er Delilah nicht zu nahe kommen. Sie drehte sich um und zwinkerte ihm zu.
»Es kommt mir fast so vor, als hätte er plötzlich Angst vor mir«, sagte sie und lachte.
»Wir haben alle Angst vor dir«, sagte Chip. »Du bist ein Gespenst.«
»Wo ist Louis überhaupt?«, fragte ich gereizt.
Delilah schaute mich kaum an. Wir waren unten an der Treppe angekommen, und sie hielt uns das Türchen dort auf. Als sie mir antwortete, klang ihre Stimme verändert. »Wir müssen noch ein Stück da runter gehen. Er ist noch nicht wieder richtig gesund.«
Chip fluchte. »Was? Louis war krank?«
»Das weißt du doch«, sagte sie.
Im Weitergehen drehte ich mich zu Hiero um und sagte auf Deutsch: »Lilah sagt, Louis ist krank.«
»Aber wir können ihn trotzdem besuchen, oder?«
»Der Junge will wissen, ob Louis uns überhaupt sehen will, wenn es ihm nicht gut geht«, sagte ich.
»Ja.«
Sie führte uns durch ein schmales Sträßchen, vorbei an Bäckereien, aus denen der Duft von frischem Weißbrot wehte, an versteckten Bistros, an Ständen, die nach Fischabfällen und Coquilles Saint Jacques stanken.
»Ihr seht total fertig aus«, sagte sie.
»Sobald ich an einem Schlagzeug sitze, bin ich wieder fit«, sagte Chip.
»Du meinst, ihr könntet heute schon spielen?« Sie lächelte. »Echt? Ihr alle?«
»Ja, allerdings hat Hiero seine blöde Trompete verschlampt.«
Sie sah mich an. »Stimmt das?«
Ich zuckte die Achseln.
Armstrong wohnte in einem kleinen Hotel in der Rue Lepic. Wir traten durch die großen Glastüren in eine Eingangs
halle, die nur so blitzte und gleißte vor Messing und vergoldeten Spiegeln und weißen Fliesen. Die Fenster hatten getönte Scheiben, an einer Wand gab es einen Aufzug mit glänzend polierten Messingtüren. Der Türsteher nickte Lilah zu, als wir vorbeigingen, und tippte mit weiß behandschuhten Fingern an seine Mütze.
Ich fasste sie am Arm. Ich war selber überrascht, wie fest ich ihn umklammerte.
»Sid«, sagte sie, »nicht hier.«
Aber ich hörte kaum hin. »Ich dachte, du bist tot«, murmelte ich. »Lilah? Weißt du, wir dachten, wir sehen dich nie wieder.«
Aber da kam auch schon Hiero durch die Glastür und starrte nervös auf all die Pracht ringsum. Sie zog ihren Arm weg.
Chip stand am Aufzug und drehte verlegen seinen Hut in den Händen.
»Ich hab mich nicht getraut, danach zu fragen …« Lilah schluckte und sah ihn an. »Wo sind sie? Wo sind Ernst und Fritz?«
»Hast du nicht jemanden vergessen?«, fragte ich.
Sie warf mir einen traurigen Blick zu. »Das von Paul weiß ich schon. Ich war dabei.«
Hiero beobachtete uns nervös.
»Ernst ist noch in Hamburg«, sagte Chip. »Bei seiner Familie. Er ist dort sicher – sein Vater ist ein ziemlich hohes Tier. Er hat Visa für uns besorgt, aber keines für Ernst. Ich nehme an, das alte Arschloch wollte bloß, dass wir aus dem Leben seines Sohnes verschwinden.«
»Er hätte uns auch hopsnehmen lassen können«, sagte ich. »Das hat er nicht getan.«
Chip zuckte die Achseln. »Wenn du Ernsts Gesicht gesehen hättest«, sagte er zu Delilah, »wenn du Ernsts Gesicht gesehen hättest, das hätte dir dein kaltes kanadisches Herz gebrochen. Man sah ihm an, wie sehr er wegwollte, es stand ihm ins Gesicht geschrieben. Weißt du, er liebt Louis über alles. Und er hat alle Hoffnung aufgegeben, als er sich verabschiedet hat.«
»Du warst doch gar nicht dabei, Chip. Was weißt du davon, wie er dreingeschaut hat?«
»Du hast es mir erzählt. Ich sag nur, was du mir erzählt hast, Sid.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Und Fritz?«, fragte sie.
Chips Gesicht verfinsterte sich. »Der verdammte Judas ist zur Goldenen Sieben übergelaufen. Wir wollen nichts mehr mit ihm zu tun haben.«
Delilah wirkte betroffen.
»Wenn ihr mich fragt, so würde ich am liebsten seinen Namen von jeder Schallplatte kratzen, die wir miteinander gemacht haben. Und den fetten Klang von seinem Saxophon auch, so gründlich, als hätte es ihn nie gegeben.«
»Das ist schrecklich«, sagte sie. »Es ist wirklich furchtbar. Armer Ernst. Armer Fritz.«
»Fritz soll zusammen mit diesen Nazischweinen in der Hölle braten«, fauchte Chip. »Dein Mitleid kannst du dir sparen.«
Das Lämpchen am Aufzug ging an. Die Kabine in einem der oberen Stockwerke fuhr los.
Wir schwiegen. Ich fühlte mich ganz wund und wie ausgeweidet.
Chip schaute umher, grunzte leise und wechselte abrupt
das Thema. »Louis ist also krank?
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