Spiels noch einmal
einem kräftigen Fußtritt die Tür auf.
Das Zimmer haute einen um, so hell war es von dem ganzen Licht, das durch die großen Fenster hereinflutete. Wir standen blinzelnd da wie Vollidioten. Die pfirsichfarbenen Vorhänge mit Spitzenborten dran waren aufgezogen und mit Kordeln zusammengebunden. An der Wand standen üppig gepolsterte Sessel aus Ebenholz. Durch eine offene Verbindungstür sah man einen Toilettentisch aus Messing blinken; das Ding sah so altmodisch aus, dass man dachte, es müsste eigentlich eine gepuderte Perücke darauf liegen. Der ganze Raum roch irgendwie nach feuchten Blumen. Und neben einem großen Milchglasfenster lag, umhüllt von cremefarbener Bettwäsche und selber desto schwärzer, Louis Armstrong. Er lachte rau. »Kommt rein, nur alle rein mit euch, lasst euch anschauen«, sagte er. Er wandte sich an Delilah. »Ich dachte schon, du kommst überhaupt nicht mehr zurück.«
Sie schnaubte. »Ich war nicht mal eine Stunde weg, Louis.«
Armstrong holte tief Luft. »Sweeeet Delilah Brown«, sang er. »My sweet Miss D. Brown, she is my flower, my rosest of roses. My Isle of Delile, I goin be your Samson …«
Sie ließ die blauen Quasten ihres Turbans in seine Richtung schwingen. »Pssst, ruhig jetzt. Du kannst wirklich schön singen, aber das bedeutet noch lange nicht, dass du singen darfst . Hast du vergessen, was die Ärzte gesagt haben?«
Armstrong setzte sich ein bisschen auf. »Oh, das ist nicht gut, das ist gar nicht gut.«
»Mmm. Medizin ist nie gut.« Sie warf uns einen spöttischen Blick zu.
»Also«, sagte sie, »das ist Louis.«
Erst wenn man mal jemandem von Armstrongs Format gegenübergestanden hat, kann man behaupten, wirkliche Größe gesehen zu haben. So ist es. Diese halb heruntergeklappten Lider, dieses blendende Lächeln: Der Mann war ungeheuer majestätisch. Und da war noch etwas: Er wirkte herzzerreißend menschlich, so als hätte er erfahren, was es heißt, Leiden ausgeliefert zu sein. Sein Mund sah schockierend aus. Der extreme Druck, den die hohen Töne erfordern, hatte im Lauf der Jahre seine Lippen ruiniert. Die Unterlippe hing etwas herunter, sie erinnerte an eine offenstehende Schublade, die mit rotem Samt ausgeschlagen ist. Er führte ein Taschentuch an seinen Mund und wischte etwas Spucke ab. In diesem Moment erkannte ich in seinem Gesicht etwas wieder: eine Art erschöpfter Geduld, eine schreckliche Müdigkeit. Meine Mutter hatte diesen Ausdruck ihr ganzes Leben lang gehabt.
»Ja, ich bin eine Sehenswürdigkeit, ich weiß.« Er schnitt eine Grimasse, dass sein ganzes Gesicht Falten warf. »Aber ich bin nicht der König von Spanien. Also hört endlich auf zu gaffen und kommt her.«
Mann, was für eine Stimme! Dröhnend, voller Steinbrocken und Splitt, ein satter Klang. In unseren Gesichtern ging ein Lächeln auf.
»Seid ihr hungrig?« Er deutete in Richtung des Toilettentischs. »Ich hab Matzen.«
»Matzen?«, fragte Delilah. Es klang nicht begeistert.
Er lachte. »Wenn man sich mal dran gewöhnt hat, kann man nicht genug davon kriegen.«
Sie verzog das Gesicht.
Matzen? Ich tauschte einen Blick mit Chip. Ob er die Dinger wohl deswegen besorgt hatte, weil er wusste, dass einer von uns Jude war?
»Louis knabbert sie gern – so wie andere Leute Erdnüsse«, sagte Delilah.
»Seit ich überhaupt Zähne habe. Also, Delilah, wen haben wir denn da?«
Delilah räusperte sich. »Louis, das ist Sid Griffiths, der Bass.«
»Das ist der Sid Griffiths?« Er musterte mich grinsend. »Oh, ich hab schon einiges von dir gehört. Sachen, die ich nicht vor deiner Mutter wiederholen würde.«
Delilah wurde rot.
Es dauerte eine Weile, bis ich meine Stimme wiederfand. »Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen, Mr Armstrong«, sagte ich. »Sie waren immer mein großes Vorbild, seit ich Musik mache.«
»Louis.« Er schaute mich mit verkniffenen Augen an, als hätte ich ihn beleidigt. »Nenn mich Louis .«
Ich schluckte. »Louis«, sagte ich.
»Und schau nicht so bedripst.« Er lachte herzhaft. »Ich habe mir bloß einen Spaß mit dir erlaubt.«
Delilah legte sacht eine Hand auf Chips Schulter, um ihn als nächsten vorzustellen, aber Chip, den Hut schräg wie ein Segel auf dem Kopf, stürmte vor und setzte sich auf einen Stuhl neben Armstrongs Bett.
»Wir haben gehört, du bist krank, Louis, richtig schwer krank.«
»Ach, es ist nicht so schlimm. Alles halb so wild.«
»Ah, schön, freut uns zu hören.«
»Du bist sicher der Mann am Schlagzeug.«
Chip räusperte
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