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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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dachte sich Heinz Höher. Das wäre doch gleich ein liebevoller Gag, der den Journalisten etwas zu schreiben gab.
    Als der Duisburger Präsident Paul Merzhäuser ihm am 6. Juni 1979, einen Tag nach seinem Vorstellungsgespräch, unerwartet früh mitteilte, er sei ihr Auserwählter, aber er müsse sofort unterschreiben, sagte Heinz Höher zu, ohne zu zögern oder noch einmal mit 1860 München zu sprechen. Er traf große Entscheidungen gerne ohne Grübeln. Mit einem »Gut, dann machen wir das« war er auch 1965 spontan zu Twente Enschede in ein fremdes Land aufgebrochen. Die Duisburger Elf habe wohl doch ein etwas besseres Fundament als der Aufsteiger aus München, außerdem spare er sich einen Umzug, rechtfertigte Heinz Höher nachträglich vor sich selbst seine Entscheidung. Er merkte nicht, dass er in Wirklichkeit gar nicht entschied, sondern der Verein. Der MSV hatte noch mit zwei weiteren qualifizierten Trainern verhandelt, Horst Franz und Eckhardt Krautzun. Heinz Höher, der in sieben Jahren in Bochum immer das Gefühl gehabt hatte, ein begabter Trainer wie er könnte sich seine nächste Mannschaft sorgfältig aussuchen, erfuhr nun, dass die Trainerrealität eine andere war: Ein Bundesligatrainer konnte nicht wählen, sondern musste schnell zugreifen. Fähige Bewerber gab es immer mehr als freie Posten.
    In seinem Kopf lief Heinz Höhers Karriere weiter nach einem großen Plan ab. Er würde sich in Duisburg mit einer starken Saison beweisen und dann im nächsten Sommer als Nachfolger von Hennes Weisweiler beim 1. FC Köln landen. Weisweilers anstehender Wechsel im Juli 1980 zu Cosmos New York war ein offenes Geheimnis. Heinz Höher wusste nicht, dass er im Juni 1979 in Duisburg für viele Jahre ein Bundesligaleben begann, in dem es keine Pläne, sondern nur Improvisieren und Zurechtfinden gab.
    »Mit fünfzig bin ich im Irrenhaus. Aber bis dahin will ich wenigstens so viel Geld verdient haben, dass ich erste Klasse liegen kann«, sagte Otto Rehhagel, der zwei Tage älter als Heinz Höher war und zur selben Zeit seine Trainertätigkeit begonnen hatte. In den sieben Jahren, die Höher in Bochum arbeitete, war Rehhagel bereits dreimal entlassen worden und hatte zweimal von sich aus den Verein gewechselt. Heinz Höher lächelte, als er Rehhagels Spruch von der Klapsmühle hörte.
    Im Duisburger Wedaustadion stand ein Trainer 1979 weicher als Rudi Gutendorf im ersten Bundesligajahr 1963. Die Laufbahn um das Fußballfeld, das natürliche Terrain eines Trainers, war mittlerweile aus Kunststoff. Man musste genau hinschauen, um in solchen Details zu entdecken, was sich verändert hatte, seit Heinz Höher hier, 16 Jahre zuvor, als Spieler die ersten Schritte in die Bundesliga gesetzt hatte. Und doch sagte das Gefühl, so viel beim MSV, alles in der Bundesliga habe sich seitdem radikal verändert. 1963 war der MSV eine Elf von Meidericher Jungs aus der Phoenixhütte gewesen. 1979 waren Spieler aus dem Großraum Duisburg wie Rudi Seliger, Norbert Dronia oder Gregor Grillemeier in der Elf des MSV fast jeden Samstag in der Minderheit. Ein Markt war entstanden, auf dem solide Profifußballer von Schalke nach Duisburg, von Duisburg nach Hamburg und von Norwegen oder Belgien in die Bundesliga verkauft wurden, auch von dieser Realität hatte Heinz Höher in Bochum selig weit weg gelebt, wo sie in sieben Jahren mal einen Spieler von Rot-Weiß Oberhausen ab- und keinen einzigen Ausländer angeworben hatten. Ein Bundesligaklub brauchte ein regionales Herz, Duisburg behielt seine unverrückbaren Ikonen Bernard Dietz und Rudi Seliger um jeden Preis, und der FC Bayern musste natürlich immer etliche Bayern aufbieten, aber wer Erfolg haben wollte, musste dazukaufen. Und wer nicht gleich mächtig Erfolg hatte, musste wieder verkaufen. Gut einem Drittel der Bundesligisten diente der Transfermarkt jedes Jahr nicht zur Verstärkung, sondern einzig zur Geldbeschaffung in finanzieller Not. Auf bald 40 Millionen Mark beliefen sich die Schulden der Bundesligavereine.
    Der MSV Duisburg hatte Ende der Siebziger eine Spitzenelf sein wollen und zwei Monate vor Heinz Höhers Vertragsunterschrift tatsächlich das UEFA-Cup-Halbfinale erreicht. Dafür bezahlten sie postwendend. Drei Säulen der Mannschaft, Kees Bregmann, Ditmar Jakobs und Ronnie Worm, mussten verkauft werden, um die Schulden einzudämmen, die sich beim Versuch, Spitzenfußball einzukaufen, aufgetürmt hatten. Für Ronnie Worm überwies Eintracht Braunschweig eine Million Mark Ablöse.

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