Spieltage
Michael Eggert. Heinz Höher lächelte, als wäre nichts geschehen.
Einmal noch ließen er und sein Freund Winzlinger nachts die Gedanken blitzen. Das Heimspiel gegen den HSV am 3. März 1979 drohte auszufallen, Schnee bedeckte den Rasen, noch nie waren so viele Bundesligaspiele abgesagt worden wie im endlosen Winter 78/79. Weil seit drei Monaten alle Heimspiele ausgefallen waren, verzeichnete der VfL keine Einnahmen mehr. Wüst hatte die Januar- und Februargehälter noch nicht bezahlt. Sie mussten endlich wieder spielen, dachte Heinz Höher, nachts um vier, wach wie fast jede Trainernacht.
Andere Stadien hatten Rasenheizungen, die den Schnee schmolzen.
Wenn du von unten nicht an den Schnee rankommst, wieso taust du ihn nicht von oben auf, sagte Winzlinger.
Eine Oberrasenheizung? Winzlinger, du bist gar nicht so dumm.
Heinz Höher überlegte noch ein wenig. Am nächsten Tag eröffnete er Präsident Wüst seinen Plan. Im Garten von Oberbürgermeister Heinz Eikelbeck, einem passionierten Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, probten sie Höhers Einfall. Es schien zu funktionieren!
Mit zehn Feuerwehrmännern, darunter VfL-Reserveteamspieler Thomas Duschanski, verlegte Einsatzleiter Ottokar Dörr vom Tiefbauamt Hunderte Meter Feuerwehrschläuche über den Stadionrasen. Dann pumpten sie warmes Wasser hindurch. Leise schmolz der Schnee. 35000 Liter Schmelzwasser wurden abgepumpt. Der VfL gewann 2:1 gegen den Hamburger SV mit Kaltz, Keegan, Hrubesch, der auf dem Weg war, deutscher Meister zu werden. 33000 Zuschauer brachten das verzweifelt herbeigesehnte Geld in die Kassen. Heinz Höher sagte niemandem, dass es sein Coup gewesen war. Er konnte das nicht, sich selbst darstellen; wozu auch, redete er sich ein, wenn er doch sowieso schon fast weg aus Bochum war.
Zum letzten Heimspiel gegen Darmstadt 98 erschien er gar nicht mehr. Ottokar Wüst hatte ihm drei Tage Pfingstferien gewährt. Heinz Höher wollte sich bei einem potenziellen neuen Verein umsehen. »Ist er in Duisburg?«, fragte Franz Borner. »Vermutlich war er bei Twente Enschede«, schrieb Manni Jüttner. Heinz Höher sah sich ein Training und ein Spiel vom sicheren Bundesligaaufsteiger 1860 München an. Er hatte sich mit Bart, Brille und Hut verkleidet, damit ihn niemand erkannte.
In Bochum riefen die Fans im Angesicht des müden Spiels gegen Darmstadt am 2. Juni 1979 noch einmal »Höher raus!«, obwohl er gar nicht anwesend und doch schon raus war. Rudi Mayer, der Mannschaftsarzt im schwarzen Ledermantel, suchte die Nähe von Heinz Formann. Bei Verletzungen von Spielern hatte Mayer jahrelang nur zwei Leute informiert: den Trainer Höher und den Journalisten Formann. »Sieben Jahre«, sagte Mayer. »Da muss doch mehr geblieben sein als die Asche, die man aus der Hand in den Wind bläst.«
Nach zwei Monaten des Suchens und Sondierens blieben Heinz Höher zwei konkrete Angebote, von 1860 München und seinem ersten Bundesligaklub, dem Meidericher SV, der seit 1967 MSV Duisburg hieß. Die Stadt Duisburg hatte gut eine halbe Million Mark Schulden getilgt und durfte sich dafür in den Vereinsnamen drängen.
Vier, fünf Jahre zuvor hatte Heinz Höher das Gefühl gehabt, sich aus der halben Bundesliga einen Verein aussuchen zu können. Er war immer noch jung, 40. Aber ein Trainer war immer nur einen Moment lang groß in Mode.
Heinz Formann schaute ausnahmsweise zu einer der letzten Trainingseinheiten vorbei. Sie nahmen auf eine Art Abschied voneinander, obwohl sie sich gewiss weiter sehen würden.
Sie gingen ins Stadion an der Castroper Straße und setzten sich in der milden Junisonne auf eine Treppe. Ab dem Sommer würde es Ruhrstadion heißen.
Jetzt ist das Stadion fertig, und ich muss gehen, sagte Heinz Höher. Sie ließen die Blicke über die neuen, steilen Tribünen gleiten und sagten lange Zeit nichts.
Das sind nicht mehr die famosen Siebziger
Von der Möglichkeit zu scheitern
Für die Sportjournalisten in Duisburg ließ Heinz Höher Gebetszettel drucken. Auf festem gelben Papier, im Taschenformat geschnitten, wie bei Fürbitten üblich, wies er auf die kritische Situation des MSV Duisburg hin, der in Finanznot drei seiner herausragenden Spieler beraubt worden war, der im anstehenden Bundesligajahr Talente aus dem Amateurfußball entdecken und von Verletzungen verschont bleiben müsse, »ansonsten«, schloss der Text, »hilft nur viel beten«.
Er würde die Gebetszettel bei seiner Vorstellung als neuer Trainer des MSV an die lokale Presse verteilen,
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