Spieltage
während er in der Mitte auf einem Ball saß und für jede Runde ein Stöckchen zerbrach. Und das war noch nicht mal eine Strafe, sondern alltägliches Training gewesen. Mit jeder Runde am Valznerweiher flogen die Gedanken schneller als die Füße. Es ging nicht mehr mit Höher. Da war keine Linie mehr, nur noch halb garer Aktionismus wie Joggen morgens um sieben. Und mit seinem Schweigen konnte er sie auch nicht weiterbringen. Wieso hatte ihn das Präsidium nicht schon beim Abstieg aus der Bundesliga fünf Monate zuvor entlassen?
Präsident Gerd Schmelzer konnte nicht genau sagen, warum er Heinz Höher nicht entlassen hatte. Er war öfter von einer Entscheidung einfach felsenfest überzeugt, und aus dieser Überzeugung nahm er den Schwung, sie durchzuziehen. Nachdem er Heinz Höher einige Monate beobachtet und seine Arbeit analysiert hatte, war er überzeugt, einen exzellenten Trainer vor sich zu haben, auch wenn das die Ergebnisse noch nicht bestätigten. Einmal hatte Schmelzer in der Halbzeit in der Umkleidekabine gesessen, Nürnberg lag schon wieder im Rückstand, als Heinz Höher den Fußball packte, mit beiden Händen über den Kopf hielt und rief: Was ist das?
Überrascht und sprachlos sahen ihn die Spieler an.
Das ist ein Ball, brüllte Höher und warf ihn so vehement auf den Boden, dass er an die Decke sprang. Dann holt ihn euch endlich!, schrie er.
In dem Augenblick konnte Schmelzer spüren, was große Trainer taten: Sie übertrugen Eigenschaften. Er selbst wäre nach Höhers Halbzeiteinlage mit aufgeladener Spannung und wilder Entschlosseheit raus auf den Fußballplatz gelaufen.
Er musste nur geduldig an dem Trainer festhalten, nicht schwanken, eine klare Linie bewahren, dann würde sich der Erfolg früher oder später einstellen. Gerd Schmelzer versuchte, daran zu glauben.
Der Präsident war 33. Seine weiten Sakkos und das voluminöse Resthaar an den Schläfen ließen nichts Jugendliches mehr an ihm. Er hatte mit Anfang 20 eine Kneipe aufgemacht, die er Gaudimax nannte, und war Manager von ein paar Stammgästen geworden: Mit den Handballern von Tuspo Nürnberg stieg er in die Bundesliga auf und wieder ab. Er übernahm ein Autohaus und studierte nebenbei Betriebswirtschaft, er erstand die Lager einer Konservenfabrik, fand die Keller voll mit stinkendem Hering in Dosen und sauren Essiggurken in Gläsern und baute die Räume zur Geschäftsgalerie. Er kam als Mann für alles zum 1. FC Nürnberg und war nach dem spontanen Rücktritt von Michael A. Roth Ende 1983 plötzlich Präsident. Heinz Höher war der erste Trainer, den er angestellt hatte.
Er faszinierte Schmelzer. Ich habe aus Duisburg gehört, Sie hätten dort mit den Spielern wochenlang nicht gesprochen, sagte er einmal zu Höher.
Mit wem der Ball nicht spricht, mit dem muss ich auch nicht sprechen, antwortete Höher.
Mit Gerd Schmelzer sprach Heinz Höher. Er mochte Schmelzers Blick, der konnte einen so ruhig anschauen.
Montagmorgens um acht, nach dem Laufen in der Dämmerung, folgte auf den körperlichen Teil der Strafe die Predigt. Der Präsident erschien, um der Mannschaft zu sagen, es reiche jetzt. Nach dem Abstieg sollte eine Elf ohne Abramczik, Hintermaier und die alten Konflikte von vorne anfangen. Nach sieben Spielen der Saison 84/85 stand der 1. FC Nürnberg selbst in der Zweiten Liga nur auf Rang sieben. Das 1:1 im Heimspiel gegen Rot-Weiß Oberhausen am 27. Oktober 1984 war für alle unerträglich gewesen. In der letzten Minute eines miserablen Spiels hatte sich der 1. FC Nürnberg den Ausgleich eingefangen. Die Verteidiger waren aus der Abwehr gestürmt, um – Heinz Höhers Spezialität – auf Abseits zu spielen. Dabei rannten sie fast den eigenen Angriffsspieler Stefan Lottermann um und gewährten Oberhausens Stürmer Dieter Allig freien Weg zum Tor, als er aus der Tiefe dem langen Pass hinterherjagte. Seit Wochen wartete Heinz Höher darauf, dass die Mannschaft endlich die Abseitsfalle ordentlich hinbekam! Seit Wochen redete Mannschaftskapitän Udo Horsmann mit Heinz Höher, damit er endlich die Abseitsfalle aufgab!
Können wir auch einmal über die Probleme aus unserer Sicht reden, bat Horsmann im Namen der Mannschaft den Präsidenten nach dessen Ansprache am Montagmorgen.
Es sei nicht der Moment zu diskutieren, sondern die Zeit gekommen, sich an die eigene Nase zu fassen, rief Schmelzer, der fühlte, in schwierigen Situationen musste er kompromisslos hinter dem Trainer stehen. Geht nach Hause!
Rudi Kargus war
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