Spieltage
konnten die Sportredakteure Wolfgang Haala und Dieter Bracke bald nach Hause gehen.
Es klopfte an der Tür von Dieter Bracke. Er war Sportchef, er hatte ein Einzelbüro im fünften Stock des Redaktionsgebäudes in der Marienstraße. Udo Horsmann, Rudi Kargus, Stefan Lottermann, Thomas Brunner und Horst Weyerich standen vor seiner Tür. Ein Gedanke, mehr ein Instinkt, schoss Bracke durch den Kopf: Haben wir nach dem 1:1 gegen Oberhausen so hart über sie gerichtet, dass sie sich beschweren wollen? Auf die Idee, ungefragt eine Zeitungsredaktion zu besuchen, waren Bundesligafußballer noch nicht gekommen. Aber Dieter Brackes Erstaunen begann erst. Die Fußballer hatten einen Text für die Zeitung geschrieben.
Sie wussten nicht, an wen sie sich sonst hätten wenden können. Mit Heinz Höher selbst hatte Horsmann als Kapitän schon dreimal über das Training und die unsägliche Abseitsfalle debattiert, aber der Trainer nahm ihn mittlerweile wohl nur noch als Querulanten wahr. Der Präsident stand so fest zu Höher, dass er kein Wort hören wollte. Vom Manager Manfred Müller wusste keiner so recht, was er im Verein zu sagen hatte, vermutlich wenig. Die Nürnberger Sportredakteure selbst kamen selten zum Training, sondern telefonierten unter der Woche mit dem Trainer und dem Präsidenten für ihre Texte. Die Mannschaft des 1. FC Nürnberg glaubte, sie müsse ihre eigene Pressemitteilung schreiben, um gehört zu werden. Nach der Nürnberger Zeitung besuchten die fünf Emissäre die Nürnberger Nachrichten.
Wolfgang Haala von der NZ, der einen guten Draht zum Trainer hatte, rief Heinz Höher an. Er müsse ihm etwas vorlesen:
»Die Lizenzspielermannschaft des 1. FC Nürnberg wagt mit einer kurzen Stellungnahme den Schritt an die Öffentlichkeit. Diese Erklärung dient jedoch nicht dazu, die Mitverantwortung für die letzten katastrophalen Leistungen – besonders im Spiel gegen Oberhausen – abzulehnen.
Wir möchten auf folgende Missstände hinweisen:
Im Bereich Trainingsinhalt auf
versäumtes Konditionstraining während der Saisonvorbereitung (verursacht klare Verletzungsanfälligkeit)
ein unregelmäßiges Trainingsprogramm, in dem in den letzten Wochen nur einmal Schusstraining stattfand, plötzlich Kraftübungen gemacht wurden, die zu tagelangen Muskelbeschwerden führten, einmal in drei Tagen sechsmal trainiert wurde, danach einmal in drei Tagen nur einmal trainiert wurde.
Im Bereich der Taktik
gibt der Trainer den einzelnen Spielern keine klare Anweisungen für das Spiel
und trotz der Fehlschläge, des mangelhaften Einstudierens und mannschaftlichen Widerstands beharrt Heinz Höher auf seiner Abseitsfalle.
Zum gestörten Verhältnis zwischen Mannschaft und Trainer: Herr Höher äußert seine Spielerkritik oft zynisch. Durch seine Verschlossenheit hat er jeden Kontakt mit der Mannschaft verloren. Von einer psychologischen Betreuung der Spieler durch Herrn Höher kann keine Rede sein. Wir sehen uns zu diesem Vorgehen gezwungen, da mehrere Versuche, mit Herrn Höher darüber zu sprechen, fehlgeschlagen sind.«
Herr Höher? Sind Sie noch dran, Herr Höher?
Die Leitung blieb noch einen Moment stumm.
Was sagen Sie dazu, Herr Höher?
Das müsse er erst einmal verdauen, sagte Heinz Höher zu Wolfgang Haala. Er rufe ihn später mit einer Stellungnahme zurück, er verspreche es.
Als er aufgelegt hatte, ging er zum Kühlschrank. Er trank ein Bier in wenigen Zügen aus und begann nachzudenken.
Das hatte es noch nie in der Bundesliga gegeben. Spieler, die öffentlich ihren Trainer denunzierten. Das war Meuterei.
Doris merkte nicht, dass etwas Außergewöhnliches geschah; es war nur der nächste der andauernden Ausnahmezustände, die sie mitmachte. Sie glaubte nicht, dass ihr Leben noch Steigerungen bereithielt.
Gerd Schmelzer hatte sich in sein Büro eingeschlossen, um seine Rede für die Jahreshauptversammlung am kommenden Mittwoch vorzubereiten, als bei ihm das Telefon klingelte. Klaus Westermayer, der Sportchef der Nürnberger Nachrichten, wünschte einen schönen Abend. Eine Abordnung der Mannschaft habe die Redaktion besucht, wusste Schmelzer schon etwas davon? Gerd Schmelzer wusste nur augenblicklich, »das ist eine riesige Schweinerei, die wir uns nicht gefallen lassen«.
Er sollte an diesem Abend in der Fernsehsendung Blickpunkt Sport des Bayerischen Rundfunks zu Gast sein. Er musste den Auftritt absagen. Er verfügte nicht über die Durchwahl des Moderators Fritz von Thurn und Taxis. Er rief beim Pförtner
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