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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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zusammenhalten, und wenn es nur die Autorität des Trainers war oder der Hass auf ihn. In Nürnberg war Heinz Höher der vierte Trainer in einem halben Jahr. Mit seiner distanzierten Art löste er keine großen Gefühle mehr bei der Elf aus, allenfalls einen Spruch vom Abi.
    Heinz Höher kam an einem Donnerstagabend ins Kontiki, um zwei Bier und einen Klaren zu trinken, und der Abi saß mit einem der jungen Spieler, Roland Grahammer, an der Bar, zwei Tage vor einem Spiel. Nur ruhig, sagte der Abi zu Grahammer: Der kann uns nichts. Er braucht uns, wir brauchen ihn nicht.
    Sie rannten in die Niederlagen hinein. Im März 1984, noch über zwei Monate, noch ein Drittel der Saison vor ihnen, glaubte Roland Grahammer bei Auswärtsfahrten den Gedanken lesen zu können, der im Bus hing: Warum fahren wir da überhaupt noch hin? Der Präsident Gerd Schmelzer flüchtete heimlich in den Galgenhumor, um noch etwas zu lachen zu finden: Immer gut, wenn wir verlieren, dann sparen wir uns wenigstens die Siegesprämie.
    Die letzten zehn Spiele verloren sie eines nach dem anderen, über zwei Monate jeden Samstag wieder eine Niederlage, 0:6, 1:6 oder 2:4. Mit jämmerlichen vierzehn Punkten, halb so viele wie der Viertletzte, trudelten sie als Letzter dem Abstieg entgegen. Heinz Höher sah sich die Spieler an, Eder, Burgsmüller, Kargus, er ging die Namen weiter durch und schämte sich: Mit solchen Klasseleuten stieg er ab. »Den schlafenden Riesen« riefen die Zeitungen den 1. FC Nürnberg. Und du hast den schlafenden Riesen pennen lassen, sagte er sich.
    Jeden Tag ging er mit der Erwartung ins Training, entlassen zu werden. Vor fünf Jahren war er aus Bochum aufgebrochen, um weiterzukommen. Seitdem hatte er sechs verschiedene Mannschaften trainiert, er war entlassen und arbeitslos gewesen und nun auch noch abgestiegen. Jeden Tag ging er vom Training nach Hause und dachte, dann werde ich wohl morgen entlassen.
    Aber Nürnbergs Präsident Gerd Schmelzer hatte eine andere Idee.

Oktober 1984
Rebellion!
    Der Rasen war noch schwarz von der Nacht, als Heinz Höher mit orangefarbenen Plastikhütchen einen Laufparcours über zwei Fußballfelder absteckte. Ab und an huschte das Scheinwerferlicht eines vorbeifahrenden Autos von der Regensburger Straße über die Trainingsplätze. Die Morgenfrische kroch vom feuchten Boden in den Körper. Die Wettervorhersage hatte für den 29. Oktober 1984 einen goldenen Herbsttag angekündigt, aber um halb sieben am Morgen lag bissig feucht schon eine Ahnung von Winter in der Luft. Heinz Höher bestellte seine Mannschaft in die Dunkelheit.
    Trainer, da ist ein Fehler im Trainingsplan, hatte Torwart Rudi Kargus am Vortag gesagt: Da steht montags 7 Uhr.
    Das ist kein Fehler, hatte Heinz Höher geantwortet und die Lippen fest geschlossen.
    Er schaltete das Flutlicht nicht ein. Zum Laufen musste man den Boden nicht sehen, die Füße fanden den Weg alleine. Die Profis des 1. FC Nürnberg setzten sich in Bewegung. Heinz Höher blieb regungslos am Start stehen. In der Hand hielt er einen Tageskalender. Wenn seine Spieler an ihm vorbeikamen, riss er ein Blatt ab. Der Kalender war sein Rundenzähler. Er hatte einen Monat mit 31 Tagen gewählt. Eine Runde ging über 500, 600 Meter. Das Abreißen der Blätter vom Kalender war Heinz Höhers einzige Bewegung, das einzige Geräusch.
    Der Berufsverkehr setzte auf der Regensburger Straße ein. Das Tageslicht trat hervor. Sie liefen immer noch. Eine Stunde, hatte Heinz Höher gesagt. Im Pulk der Läufer dachte sich Roland Grahammer, ist der Trainer festgefroren? Heinz Höher bewegte sich oft nicht beim Training, fiel Grahammer auf, stand einfach auf einem Fleck, und niemand wusste, schaute er zu oder träumte er, bis er mit einem Pfiff das Training beendete.
    Grahammer hatte das Beste aus dem morgendlichen Trainingsbeginn gemacht. Um das frühe Aufstehen zu umgehen, war er bis nach fünf Uhr ins Leopardo gegangen und dann direkt von der Diskothek zum Trainingsplatz am Valznerweiher gefahren.
    Mit jeder Runde wurden die Gedanken böser. Was sollte das, um sieben Uhr morgens ein Straftraining ansetzen. Und dann joggen wir bloß so lasch herum, dachte sich Torwart Rudi Kargus; wenn Höher wirklich etwas gegen die anhaltende Erfolglosigkeit tun wollte, dann müsste er uns doch richtig hart bestrafen. Kargus hatte die gesamten Siebzigerjahre hindurch beim Hamburger SV gespielt, auch unter Trainer Branko Zebec. Zebec hatte sie anderthalb Stunden lang Tempoläufe absolvieren lassen,

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