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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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Schmelzer schon mal in einer schwierigen Situation steckte, wollte Roth offenbar ein bisschen zündeln.
    Mit dem Hinweis, ein Vorsprechen der Spieler sei nicht satzungskonform, glaubte Justiziar Sven Oberhof die Aktion verhindert zu haben, doch die Emotionen flogen hoch.
    Der Weyerich muss reden! Das ist ein echter Clubberer! Den kann man nicht einfach so rausschmeißen!
    Zapf Gebhardt stand auf. Als Spieler war er 1948 mit Nürnberg deutscher Meister geworden, als Trainer 1980 in die Bundesliga aufgestiegen. Während er in anderen Bundesligavereinen für seine Läufe mit Medizinbällen unter den Armen verschrien war, war er in Nürnberg eine Galionsfigur. Wenn Spieler versuchten, den Verein zu erpressen, rief Gebhardt, und im Saal wurde es still, dann könne man sich das nicht gefallen lassen, dann müssten die weg, egal, wer sie waren.
    Ein Geschrei erhob sich. Genau! Der Zapf hat gesprochen! Lumpen und Zigeuner sind das! Die einzelnen Wörter vermischten sich, aber es hörte sich für Gerd Schmelzer wie Jubel an.
    Er wurde in seinem Amt bestätigt.
    Heinz Höher saß zu Hause. Er durfte nicht auf die Jahreshauptversammlung. Er war kein Vereinsmitglied. Er wartete noch immer, welches Ende die Geschichte für ihn bereithielt.
    Das Spiel im Tivoli-Stadion zu Aachen konnte nicht beginnen. Es standen noch immer Tausende Zuschauer vor den Toren. Der Anpfiff musste um zehn Minuten verschoben werden, sagte ein Aachener Betreuer zu Heinz Höher, der, den Kragen seiner Daunenjacke aufgestellt, am Spielfeldrand stand und das Aufwärmen seiner Mannschaft beobachtete. »Das hätten Sie mir auch früher sagen können!«, schrie Höher. »Soll ich die Spieler jetzt einzeln wieder einfangen?« Dann verfiel er sofort wieder in die gelassene Haltung, die er seit der Abfahrt am Donnerstagmorgen an den Tag legte. Er hatte nur einen Augenblick lang zu erkennen gegeben, wie es wirklich in ihm aussah.
    Alle Nürnberger Profifußballer, die nicht verletzt oder entlassen waren, hatten sich zur Abfahrt nach Aachen eingefunden. Ein eilig herbeigerufener Rechtsanwalt, Peter von Pierer, hatte ihnen am Mittwochabend bei der vorerst letzten Rebellensitzung im Hotel Daucher geraten, auf jeden Fall zum Spiel anzutreten, sonst müssten sie erhebliche Schadenersatzforderungen fürchten. So standen Heinz Höher neun Profis zur Verfügung. Er füllte die Elf mit Spielern aus der Amateur- und Jugendmannschaft auf und nominierte den Manager Manfred Müller als Ersatztorwart. Das Durchschnittsalter der Elf betrug 20,4 Jahre.
    Alemannia Aachen war Tabellenführer. Das Flutlicht brannte, das Stadion war mit 22000 Besuchern überfüllt. Wir gehen drauf, sagte Heinz Höher, wir greifen an, das können wir!
    Und dann rannten sie. Aachen drängte, Nürnberg griff an, das Spiel knisterte vor Intensität. In den besten Momenten berauschen sich Fußballer am eigenen Spiel. Die Geschwindigkeit und die Vehemenz, die sie selbst schufen, steckten die Nürnberger in Aachen an. Am Ende verloren sie durch ein Gegentor fünf Minuten vor Ende 2:1. Sie lagen mit wässrigen Augen auf dem Platz und fühlten sich, auch wenn sie es nicht zulassen wollten, auch wenn sie es nicht verstanden, doch irgendwie großartig nach ihrem beeindruckenden Spiel. Der Präsident, um den Hals einen handgestrickten rot-weißen Schal zum schwarzen Ledermantel, umarmte Heinz Höher am Spielfeldrand. »Das war die Geburtsstunde einer neuen Mannschaft!«, rief Vizepräsident Sven Oberhof.
    Der Mannschaftsbus startete in die Nacht, nach Nürnberg waren es 384 Kilometer. Um Mitternacht hatte Roland Grahammer Geburtstag. An einer Autobahntankstelle wurde Bier gekauft, und im Bus sangen die Spieler und das Präsidium zusammen: »Aber eins, aber eins, das bleibt bestehen, der FCN wird niemals untergehen!« Zwei Tage zuvor hatte die Mannschaft das Training unter Heinz Höher verweigert, sechs Kollegen, mit denen sie sich prinzipiell immer noch solidarisierten, waren entlassen worden, und nun feierten die Spieler überdreht, ohne exakt zu verstehen, was. Da war nur diese Erleichterung, dass die extreme Anspannung der vergangenen Tage vorbei war.
    Schon wurde die niedergeschlagene Rebellion von Nürnberg ein Klassiker der Bundesligageschichte: das erste und einzige Mal, als ein Verein bei einem Konflikt zwischen Trainer und Mannschaft nicht den Trainer entließ, sondern die halbe Elf rauswarf. Dabei wird bis heute übersehen, dass es Präsident Schmelzer gar nicht um die Frage Trainer oder Mannschaft

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