Spieltage
jedes Mal wieder seinen ganzen Körper leer. Ohne Reuter und Grahammer machte es keinen Sinn mehr. Wie sollte er es beschreiben, die absolute Abwesenheit von Lebendigkeit und Kraft hing bleiern an ihm.
Gerd, ich will nicht mehr. Wenn ein Turm hundert Stufen hat, stehen wir auf der neunzigsten. Ich schaffe das nicht mehr, bis zur zwanzigsten zurückzugehen und wieder von vorne hochzukrabbeln.
Gerd Schmelzer versuchte, ihn zum Weitermachen zu überreden. Er sagte abends, jetzt schlaf erst mal drüber, und am nächsten Morgen hatte er schon wieder neue Argumente: Heinz, wenn wir in den UEFA-Cup kommen, wenn das Stadion erst einmal fertig ist. Heinz Höher schüttelte den Kopf. Dann würde er morgen wieder mit ihm reden, sagte sich der Präsident.
Währenddessen redeten andere, mächtigere Vereine über die Zukunft des 1. FC Nürnberg mit. Welche Talente würden sie dem Club entreißen? Roland Grahammer, der einen Gegner nicht nur deckte, sondern kleinkriegte, wurde nicht nur von Bayern München, sondern auch vom 1. FC Köln, Bayer Leverkusen und Borussia Dortmund umworben. Kölns junger Trainer Christoph Daum traf sich dreimal mit ihm, um ihn zu überzeugen.
Wie sehr viele Bundesligaprofis hatte Roland Grahammer keinen Berater. Fast vier Jahrzehnte nachdem Raymond Schwab den Beruf des Fußballmaklers in Deutschland bekannt gemacht hatte, gab es weiterhin wohl nicht mehr als zwei Dutzend Fußballagenten, die exklusiv von diesem Beruf lebten. Es war nicht einfach, als Spielerberater auf ein solides Gehalt zu kommen. Mancher Verein zahlte die Kommission einfach nicht, Trainer der alten Schule wie Horst Heese verbannten selbst etablierte Berater wie Holger Klemme sofort, wenn die mal nicht ganz korrekt gespielt hatten, und überhaupt, wie oft gab es mehr als 25000 Mark Provision für einen Transfer?
Wenn ein Verein einen Spieler anstellen wollte, rief er ihn an. Zu den Verhandlungen brachte Roland Grahammer seinen Vater mit, einen Beamten der Stadtverwaltung Augsburg. Man wusste doch, wenn Köln, Leverkusen oder Bayern ein Angebot unterbreiteten, würde es in Ordnung sein. Was gab es denn da zu verhandeln?
Bei all den verführerischen Anfragen hatte Grahammer das irritierende Gefühl, dass ein Angebot fehlte. Warum sprach der 1. FC Nürnberg, sein Club, nicht mit ihm über eine Vertragsverlängerung? Brauchten sie das Geld aus dem Verkauf so dringend, dass sie froh waren, wenn er ging?
Erst im März 1988, als sich Grahammer und Reuter im Prinzip schon für den FC Bayern entschieden hatten, sagte Gerd Schmelzer zu Heinz Höher: Wegen dem Reuter und dem Grahammer. Er habe da eine Idee. Heinz Höher hörte zu und lächelte. Langsam ging das Lächeln in seinem Gesicht auf und blieb dort eine ganze Weile.
Wie mit Schmelzer besprochen, besuchte er an einem der folgenden Tage Stefan Reuter zu Hause. Reuter, noch immer 21 Jahre jung und schon ein gestandener Bundesligaspieler dank Heinz Höhers Frühförderung, wohnte in Nürnberg mit Martin Schneider, einem anderen Frischling, in einer Fußballerwohngemeinschaft. Das wirkliche Zuhause war für Reuter noch bei seinen Eltern in Dinkelsbühl. Heinz Höher nahm seine Frau und Thomas mit. Sie würden einen kleinen Ausflug machen. Dinkelsbühl sollte einen prächtigen mittelalterlichen Stadtkern haben.
Er wolle Stefan das offizielle Angebot des 1. FC Nürnberg für eine Vertragsverlängerung überbringen, sagte Heinz Höher am Tisch der Reuters in Dinkelsbühl. Stefan Reuters Eltern und Heinz Höhers halbe Familie saßen dabei. Stefan sei der Spieler für seine Elf, deshalb hätten sich Gerd Schmelzer und er entschlossen, Stefans Gehalt zu verdoppeln. 500000 Mark im Jahr, sagte Heinz Höher, nur als Grundgehalt, und legte einen Vertragsentwurf vor Stefan Reuter auf den Tisch.
Selbst der FC Bayern hatte Reuter nur 400000 geboten.
Er hatte, mit 21, die roten Wangen eines Jungen. Sogar wenn er hoch konzentriert Fußball spielte, ein mitreißend schneller Spieler mit einem samtweichen Pass, auf fünf, sechs Positionen einsetzbar, schien etwas in seinem Gesicht zu strahlen. Das Angebot wisse er sehr zu schätzen, aber, sagte Stefan Reuter, er habe Bayern sein Wort gegeben.
Das sei ein Schlag, sagte Heinz Höher, ja, wenn das so sei, dann wolle er auch gar nicht mehr, dann ginge er auch aus Nürnberg fort.
Thomas fing an zu weinen. Es war ihm peinlich, aber er konnte nichts dagegen tun, er war 13. Er wollte nicht weg aus Nürnberg, er wollte nicht sein Idol Reuter verlieren.
In
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