Spieltage
neuen Niveau. Er ließ seine Elf gegen schwächere Teams mit dem Libero vor der Abwehr spielen. Er perfektionierte seine Trainingserfindungen. Sie spielten mit einem Tennisball in der Halle Fußball, sie spielten drei gegen drei auf vier Tore, ein Treffer zählte nur, wenn die angreifende Mannschaft vor dem Tor in Überzahl war. Niemand benutzte die Wörter Handlungsschnelligkeit und Umschaltspiel. Heinz Höher trainierte es schon. Er stellte ein Trainerteam zusammen, wie es noch kein Verein hatte, mit einem Konditionstrainer, einem Sprinttrainer, einem Gymnastik- und Krafttrainer. Aus dem Manager Manfred Müller machte er den Torwarttrainer. Einen Manager brauchten sie sowieso nicht, der Präsident und er wollten alleine entscheiden. Nur einen Assistenztrainer verweigerte Heinz Höher partout. Er konnte delegieren, aber mit jemandem zusammenarbeiten konnte er nicht. Das Gute war, dass er es selbst erkannte.
Der Heinz, dachte sich Gerd Schmelzer, kann sich auf seinen Genius verlassen. Aber leicht macht er es einem nicht. Sie hatten 1986 einen neuen Torwart aus der Zweiten Liga verpflichtet, Andreas Köpke, und nach einem einzigen Spiel in Bremen drohte Heinz Höher schon, den werfe ich raus, der Köpke macht mich wahnsinnig: Der faustet jede Flanke, statt sie zu fangen!
Heinz, jetzt warte doch erst mal ab, der ist gerade mit Hertha aus der Zweiten Liga abgestiegen, der muss sich erst finden, redete Schmelzer ihm zu. Alle fanden, dass Andreas Köpke danach in seinem ersten Bundesligajahr spektakulär agierte. Heinz Höher fand, der faustete noch immer! Er verpflichtete im talentierten 20-jährigen Kölner Ersatztorwart Bodo Illgner einen Nachfolger. Dann wurde Kölns erster Torwart Toni Schumacher Schriftsteller. In seinem Bestseller Anpfiff stellte er Dutzende Kollegen und Funktionäre als Pfeifen dar, eröffnete Einblicke in die moderne Dopingpraxis der Bundesliga (»Ich nehme an, dass zu diesen Spezialmixturen Anabolika, Amphetamine und diverse andere Aufputschmittel gehörten«) und wurde in der Folge vom 1. FC Köln entlassen. Nun wollten die Kölner Illgner unbedingt behalten. Er hatte aber schon in Nürnberg unterschrieben. So zahlte der 1. FC Köln dem Club 100000 Mark, um einen Spieler auszulösen, der noch immer beim 1. FC Köln war. Und Andreas Köpke, vom vermeintlichen Nachfolger befreit, wurde in Nürnberg eine Institution im Tor. Er konnte Flanken über zwanzig Meter weit weg fausten, schwärmten seine Fans.
Der reifende Club blieb auf seinem Weg, auf dem Spielfeld wie in der Tabelle, immer vorwärts. In der Saison 1987/88, Heinz Höhers fünftem Jahr in Nürnberg, so lange hatte es noch kein Bundesligatrainer in Nürnberg ausgehalten, erreichten sie die Spitzengruppe. Sie wurden zu gut für ihr eigenes Glück. Der FC Bayern schaute genau hin, was die Nürnberger so stark machte. Stefan Reuter und Roland Grahammer haben Angebote von den Bayern, verriet der Nürnberger Metzger Werner Weiß Gerd Schmelzer im Januar 1988. Weiß sollte es wissen. Er betrieb mit Bayerns Manager Uli Hoeneß eine Wurstfabrik.
Heinz Höher fühlte sich auf einmal unendlich müde. Er sah sein Werk einstürzen. Mit Reuter und Grahammer riss man seiner Elf das Rückgrat heraus. Und in den folgenden zwei Spieljahren würde das Stadion umgebaut, sie würden zwei Jahre auf einer Baustelle, in einer Ruine spielen, er hatte das schon in Bochum erlebt. Er glaubte nicht, dass er die Kraft aufbrachte, noch einmal von vorne anzufangen.
Er hatte schon einige Male bei harten Rückschlägen diese abrupte Leere im Körper gespürt. Es gab, soweit er wusste, keinen medizinischen Fachterminus dafür, obwohl die Psyche eine große Sache im deutschen Sport war, seit Boris Becker erklärt hatte, er gewinne Spiele durch mentale Überlegenheit. Aber geistige Müdigkeit war einfach Schwäche, nichts anderes. Um sie zu überwinden, musste Heinz Höher dann halt mal vier Bier und zwei Klare trinken und so tun, als fehlte ihm nichts.
Er schaffte es, in der Rückrunde 1988 vor der Mannschaft ein guter Schauspieler zu sein. Wenn er auf dem Trainingsplatz stand, wenn der Ball rollte, setzte das professionelle Interesse ein, meistens sogar die instinktive Leidenschaft. Die Mannschaft flog weiter, der gereifte Club auf Platz vier oder fünf der Bundesliga, zum ersten Mal seit zwanzig Jahren auf dem Weg in den Europapokal. Doch wenn ein Training zu Ende oder das nächste Spiel gewonnen war, spülte die Melancholie nicht nur Heinz Höhers Kopf, sondern
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