Spieltage
Journalisten schrieben plötzlich über solche doch wohl private Angelegenheiten.
Heinz Höher verschlief das meiste. Wegen der Zeitverschiebung fanden viele Weltmeisterschaftsspiele in Mexiko zu europäischer Nachtstunde statt. Er hatte keine Lust, sich wegen ein paar Fußballspielen die Nacht um die Ohren zu schlagen, auch wenn es sich bei den paar Fußballspielen um eine WM handelte. Ausreichend Schlaf hatte er immer als eines der wichtigsten Dinge im Leben erachtet.
Doch war etwas dran an Beckenbauers steiler These, dass die Bundesliga qualitätsmäßig einer Müllhalde glich?
Unverkennbar hatte sich ein kalkulierendes, physisches Spiel ausgebreitet. Bayern München prägte den Einschläferstil. Geduldig passten sie den Ball in Abwehr und Mittelfeld quer und zurück, lockten den Gegner und schlugen dann jäh zu. Wenn die Bundesligaklubs, wie seit 1984 üblich, in den Europapokalen wieder scheiterten, beschimpften sich die Deutschen in kurzen Ausbrüchen voller Selbsthass für ihren Biedermann-Fußball. Aber am Samstag war wieder Bundesliga, war man wieder unter sich, waren alle Bedenken verdrängt. Alle redeten von großer Unterhaltung, die man bieten musste. Aber das Einfachste, unterhaltenden Angriffsfußball zu spielen, trauten sich nur die wenigsten wie Heinz Höher in Nürnberg zu.
Dreimal hintereinander gewann der FC Bayern zwischen 1985 und 1987 mit seinem Kontrollfußball die Meisterschaft. Sie hatten mit zehn Titeln den 1. FC Nürnberg als Rekordmeister abgelöst. Seit 1969 hielten sich die Bayern, von einer einzigen Delle in den Nach-Beckenbauer-Jahren abgesehen, an der Macht, und kein Rivale hielt es länger als ein paar Jahren auf ihrer Höhe aus, weder Borussia Mönchengladbach noch der Hamburger SV. Es war ein historischer Glücksfall, sagte Gerd Schmelzer zu Heinz Höher, dass den Bayern just 1972 das ultramoderne Olympiastadion mit 78000 Plätzen in die Hände gefallen war, als sie mit Maier, Beckenbauer, Müller eine Ausnahmegeneration gefunden hatten, und dass genau damals die italienischen und spanischen Großvereine wegen innenpolitischer Verbote keine Ausländer verpflichten durften. Auf diesem finanziellen und sportlichen Fundament hatten sich die Bayern immer wieder erfolgreich erneuert.
Wenn er Land und Stadt überzeugen konnte, das Stadion in Nürnberg komplett umzubauen, sagte Schmelzer, dann konnten sie mit dieser begabten Mannschaft auch einen historischen Moment kreieren. Zumal das Fernsehen schöne Zusatzeinnahmen versprach. 20,5 Millionen Mark pro Saison bot die private Verwertungsgesellschaft UFA im Namen von RTL plus für die Übertragungsrechte, mehr als doppelt so viel, wie ARD und ZDF bislang zahlten, die waren doch bekloppt! Für jeden Verein würde gut eine Million bleiben, damit ließen sich in Nürnberg vier ordentliche Spieler entlohnen.
Sonntags nach den Spielen gingen Gerd Schmelzer und Heinz Höher in Unterbürg zum Pläneschmieden an der Pegnitz spazieren.
Wir müssen die Elf nur noch auf zwei, drei Positionen schön machen, dann spielen wir um die Meisterschaft, sagte Höher.
In den Siebzigern hatte er auf einer Tagung der Bundesligatrainer mit seinen ewigen Kollegen Otto Rehhagel und Erich Ribbeck gewettet, wer von ihnen mit 50 deutscher Meister würde. Nun waren sie 49. Rehhagel hatte es nach zehn Wanderjahren bei Werder Bremen geschafft, endlich bei einem Verein als Trainer sesshaft zu werden. Seit 1981 wirkte er dort. Es tat seinen Umgangsformen nur bedingt gut. Er führte sich schon wieder gerne auf. Als Nürnberg 1986 in Bremen spielte, stand Trainer Rehhagel an der Seitenlinie und streckte den Fuß ins Spielfeld, um Rudi Stenzel beim Dribbling zu foulen. Zu Gerd Schmelzer sagte er: Der Höher! Was willste denn mit dem?
Das Ungehobelte, das überdreht Leidenschaftliche würde Otto Rehhagel nicht mehr ablegen, aber der Otto war schon in Ordnung, dachte sich Heinz Höher. Mehr oder weniger zumindest.
Mit Werder jagte Rehhagel seit Jahren die Bayern, er war nah dran an der Meisterschaft mit 50. Aber nur stillhalten und weitermachen, vielleicht würde doch Heinz Höher mit Nürnberg als Erster von ihnen Meister, mit 51 oder 52.
Oft heißt es über einen Fußballer: Er steht im Zenit seines Schaffens. Über einen Trainer wird das nie gesagt. Aber auch ein Trainer hat eine Form. Er hat Jahre, in denen ihm plötzlich großartige Ideen kommen und seine Mannschaft diese auch als großartige Ideen akzeptiert. Heinz Höher war zwischen 1985 und 1988 auf einem
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