Spieltage
betrübter Stimmung verabschiedeten sich die Höhers von den Reuters. Den Spaziergang durch die Altstadt ließen sie ausfallen.
Heinz Höher gestand weder seiner Frau noch Thomas, dass er sie nur als Statisten in einem Theaterstück benutzt hatte. Er hatte von Reuters Wechsel zum FC Bayern schon vor der Fahrt nach Dinkelsbühl gewusst. Der 1. FC Nürnberg wäre doch auch wahnsinnig, Stefan Reuter ein Jahresgehalt von 500000 Mark zu bezahlen! Heinz Höher hatte ihm das Angebot nur unterbreitet, um die Ablösesumme nach oben zu drücken. Das Gehalt, das der abgebende Klub einem Spieler anbot, floss als gewichtiger Faktor in den Schlüssel ein, mit dem der DFB die Ablöse festlegte, wenn sich die Vereine nicht einigten.
Wenige Täger später erhielt Roland Grahammer ein Einschreiben. Er wollte es erst gar nicht aufmachen, er ahnte, was in dem Brief stünde. Er hatte eine Woche zuvor beim FC Bayern unterschrieben. Im Einschreiben war ein Vertragsangebot des 1. FC Nürnberg über 500000 Mark Jahresgehalt.
Wirklich um Reuter und Grahammer zu kämpfen, ihnen Monate zuvor ein echtes Vertragsangebot zu unterbreiten, schien für den 1. FC Nürnberg keine Option. Wenn die Bayern lockten, wechselte der Spieler zu den Bayern, das galt in den Achtzigern als Naturgesetz der Bundesliga.
Einmal noch bat Gerd Schmelzer Heinz Höher vergeblich, du musst bleiben. Seine nächste Frage hatte er schon vorbereitet. Und wenn du nächste Saison den Manager machst, Heinz?
»Ein Manager wie Uli Hoeneß« lautete die genaue Jobbeschreibung, wann immer bei einem Bundesligaverein der Posten neu ausgeschrieben oder neu besetzt wurde. In zehn Jahren hatte Hoeneß den FC Bayern zur einzigen Marke der Bundesliga entwickelt. Er hatte den Umsatz von zwölf Millionen Mark aus dem Jahr 1979 auf fast dreißig Millionen gesteigert, und dabei musste die Mannschaft nicht mehr 29 Freundschaftsspiele in der ganzen Welt austragen wie noch 1983, um die Etatlücken zu stopfen. Der FC Bayern warb für Lastwagen und lud die sehr zahlungswilligen Gäste im Olympiastadion nach dem Spiel in einen Raum zum Schnittchenessen und Spielertreffen. Die Bayern verkauften auch Bettwäsche mit dem Vereinswappen. Merchandising, lehrte Hoeneß das Land, heiße das in Amerika.
Bayern München war der einzige Verein geworden, der das ganze Land bewegte. Wer uns nicht liebt, muss uns wenigstens hassen, war Hoeneß’ Strategie für Öffentlichkeitsarbeit. In Bayerns Meistertrainer der Achtziger Udo Lattek fand Hoeneß seinen Mann. Lattek lieferte Nachrichten ohne Rücksicht, ob sie gut oder schlecht waren.
Zwei Tage vor dem Auswärtsspiel beim ersten Konkurrenten Werder Bremen bestellte Lattek die Bayern-Mannschaft ins Gasthaus Kreitmair in Keferloh, wo München nur noch aus Wald und Wiesen zu bestehen schien. Dort sollten sie ordentlich trinken. Die Pressefotografen wurden selbstredend dazugeladen. Die Bremer würden in der Zeitung sehen, wie wenig Angst die Bayern vor ihnen hatten, gingen sogar noch zwei Tage vorher saufen. Seiner Mannschaft setzte Lattek am nächsten Tag Schuldgefühle ins Herz. Gestern habt ihr gesoffen, die ganze Welt hat es in der Zeitung gesehen, dafür müsst ihr in Bremen umso mehr rennen; wer saufen kann, kann auch laufen!
Lattek giftete gegen Werders Trainer: »Der Rehhagel spinnt!« Uli Hoeneß sekundierte, Werders Manager Willi Lemke sei ein Volksverhetzer, durch den er zu hassen gelernt habe. So brachten sie die Gegner aus dem Takt, fand Hoeneß, so heizten sie die eigene Mannschaft an. So boten sie große Unterhaltung.
So konnte Heinz Höher nicht sein, so wollte er nicht sein. Musste er auch nicht, beruhigte ihn Gerd Schmelzer. Das Sprüchemachen nehme er ihm schon ab.
Seine Familie rätselte über Heinz Höher. Was würde er machen, als Trainer zu einem anderen Verein gehen, als Manager in Nürnberg bleiben oder letztendlich doch weiter den Club trainieren? Was würde er mit ihnen machen, sie zum Umzug zwingen oder ihnen die Heimat in Nürnberg lassen, wo sie glücklich waren? Er bezog Doris und die Kinder nicht in seine Entscheidung ein, er konnte nicht darüber reden, selbst wenn ihn Thomas mit der unschuldigen Neugierde eines 13-Jährigen fragte, bleibst du beim Club? Wie machte man das, über seine Gefühle sprechen, seine Gedanken formulieren? Heinz Höher hatte schon immer das Gefühl, dass seine Worte falsch klangen, bevor er sie überhaupt ausgesprochen hatte.
Mitte März 1988 ging Thomas mit dem Freund seiner Schwester zum EHC
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