Spieltage
zu bestimmen.
Ich hatte gedacht, dass der Hermann auf mich hören würde. Ich war doch sein Trainer gewesen, er mein Spieler; früher. Wenn ich nur ein bisschen nachgedacht hätte, hätte ich wissen müssen, dass wir die Rollen Lehrer und Schüler sechzehn Jahre später nicht einfach weiterspielen konnten; dass der Hermann in sechzehn Jahren eigene, andere Ideen als ich entwickelt hatte.
Wobei ich immer noch glaube, dass ich vieles hätte verhindern können, was im ersten Halbjahr zwischen ihm und der Mannschaft falsch lief. Der Hermann glaubt, Arbeit sei das Wichtigste. Maloche und Fleiß hat er von seinen Spielern erwartet. Aber Spieler wie Dieter Eckstein oder Rudi Stenzel werden nur schwächer, wenn er versucht, ihre Schwächen auszumerzen. Dieter Eckstein verbraucht seine Energie, wenn er malochen muss, Rudi Stenzel wird nie ein emsiger Abwehrspieler auf Bundesliganiveau. Du musst ihre Schwächen hinnehmen und sie ihre Stärken ausleben lassen. Dann waren sie tolle Stürmer.
Aber das Grundproblem war natürlich nicht der Hermann, sondern ich. Ich war überflüssig als Manager. Ich war, im Prinzip, einfach eifersüchtig. Er hatte meinen Job. Ich selbst hatte ihm den gegeben. Das machte es nur noch schlimmer.
Heinz Höher lief die Strände von Sylt von Norden nach Süden ab. Der Winterwind spielte mit dem Gras in den Dünen. Heinz Höher machte es nichts aus, wenn ihm der Wind beim Joggen ins Gesicht blies. Er wusste, auf dem Rückweg würde er dann Rückenwind haben.
Offiziell war er entlassen. Aber da der 1. FC Nürnberg ihm sowieso eine Abfindung zahlen musste, konnte er genauso gut für das Geld arbeiten, hatte ihm Gerd Schmelzer gesagt. Heinz Höher beobachtete und bewertete, in aller Heimlichkeit, als Privatspäher des Präsidenten mögliche Verstärkungen für den Club. Niemand, war Schmelzer überzeugt, hatte solch ein Auge für Fußballer wie der Mann, den er gerade gefeuert hatte.
Heinz Höher fuhr von Sylt in die pfälzische Provinz nach Edenkoben, um einen Amateurfußballer zu begutachten. Er tat es, weil es hin und zurück 1150 Kilometer waren. Da verdiente er ordentlich Kilometergeld. Wer in der Bundesliga arbeitete, wer gewohnt war, sich ständig zu messen und gemessen zu werden, für den wurde Geld zwangsläufig ein wichtiger Maßstab.
Zwei Wochen später fuhr Heinz Höher von Nürnberg in den Westerwald, um jenen Amateurspieler aus Edenkoben auch noch in einem Auswärtsspiel zu beobachten. Er nahm Thomas mit. Auf den Autofahrten hatte er sich für die Kinder immer irgendein Quiz ausgedacht, wer nennt die 50 Staaten von Amerika, wer kennt mehr Fußballernamen mit O. Diesmal erfand er spontan das Nummernschilder-Merk-Spiel. Er musste sich die Nummern der Autos merken, die sie überholten, Thomas schrieb sie auf und fragte: Roter Passat? Er musste sich erinnern: MTK-AR 250. Oder: Grauer BMW, vierter Buchstabe im Nummernschild? W. Er erinnerte sich an mehr als fünfzig Nummernschilder, noch zwei Stunden nachdem sie die Autos überholt hatten.
Für die nächste Saison verpflichtete Präsident Gerd Schmelzer einen Amateurspieler vom SV Edenkoben, Uwe Wolf, den weder Trainer Gerland noch sonst wer vom Club je gesehen hatte. Wolf würde fünf Jahre lang als Verteidiger für den Club spielen. Als die Zeitungsreporter fragten, wo sie den denn herhätten, sagte Gerd Schmelzer, den habe ihm jemand empfohlen, er erinnere sich gar nicht mehr, wer.
Nach sechs Jahren in Nürnberg ging im Sommer 1989 das alte Trainerspiel wieder los. Warten und nehmen, was du kriegst. Ein Verein aus Saudi-Arabien meldete sich, Al-Ittihad. Heinz Höher sagte sofort zu. Dettmar Cramer hatte den Klub auch schon trainiert.
Seine Elf spielte vor Tribünen aus Marmor, auf denen selten mehr als 500 Zuschauer saßen. Montagabends musste Heinz Höher die Veteranen des Vereins trainieren, zirka 60 Spieler auf einem Feld, alle über 40, nicht jeder mehr in der Lage zu sprinten. Wenn seine Elf ein Auswärtsspiel in Mekka bestritt, musste er, der Christ, vor den Toren der heiligen Stadt aus dem Mannschaftsbus aussteigen und wurde außen herum zum Stadion chauffiert.
Er wollte in seinem Apartment in Jeddah im Satellitenfernsehen die Bundesliga schauen und sah, wie die Berliner Mauer fiel. Er hatte sich seit Jahren nicht mehr mit der Wiedervereinigung beschäftigt, er hatte sich, und das kam ihm auf einmal schlimmer vor, nicht mehr tief gehend für Politik interessiert. Als 18-Jähriger hatte er sich freiwillig melden wollen, um den
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