Spieltage
der Trainer hätten es im Trainingslager zu einer Eskalation kommen lassen. Doch der Auslöser des Konflikts auf Malta sei eindeutig Heinz Höher gewesen. »Er kam mir zuletzt wie ein alternder Ehemann vor, dem man Hörner aufsetzte.«
Heinz Höher saß neben ihm. Was genau er dort bei einer Pressekonferenz sollte, die seiner Entlassung galt, hatten er und Schmelzer nicht besprochen. Sie hatten nur so ein Gefühl gehabt, dass er sich anständig verabschieden sollte, dass sie den letzten Schritt gemeinsam gehen würden.
Heinz Höher begann damit, auf dem Vereinsgelände des Clubs den Club-Trainer zu attackieren: »Der Club ist für Gerland drei Nummern zu groß.« In der linken Hand hielt er während der gesamten Pressekonferenz seinen Autoschlüssel, als sei er schon fast weg. Ganze fünf Mal habe er sich in die Belange des Trainers eingemischt, sagte Heinz Höher, »ich hätte es früher tun müssen, kein Spieler ist seit Saisonbeginn besser geworden, Eckstein hätte gehalten werden können, doch der Trainer brachte ihn bei den Fans in Misskredit.« Die offizielle Pressekonferenz des 1. FC Nürnberg zu seiner Entlassung geriet zu einem Plädoyer, warum eigentlich der Trainer, nicht er hätte gehen müssen. Präsident Schmelzer saß neben Heinz Höher und sah ihn mit seinem gewohnten ruhigen Blick an, aber nun aus den Augenwinkeln, mit hängendem Schnauzer. Er unterbrach ihn nicht. Hermann Gerland musste sich dann später am kalten Trainingsplatz, zwischen Tür und Angel, gegenüber den Zeitungsreportern gegen die Vorwürfe des entlassenen Managers rechtfertigen. Niemand empfand das als verkehrte Welt, vielleicht als nicht ganz glücklich, aber es hatte halt etwas improvisiert werden müssen.
Je mehr Heinz Höher auf der Pressekonferenz redete, desto ruhiger wurde er, desto besser verstand er selbst, was passiert war. Sein Verhalten auf Malta, sagte er, sei »ein Akt reiner Selbstzerstörung« gewesen. Er habe sich in die Ecke getrieben gefühlt: »Die Mannschaft liebt Gerland, die Journalisten lieben Gerland, alle lieben Gerland. Da bleibt für mich keine Liebe übrig.« Heinz Höher stand auf. Er wollte sofort Abstand gewinnen, zumindest räumlich. Für einige Tage, vielleicht auch Wochen brach er spontan nach Sylt auf. Er sagte es melodramatischer, als er wollte: »Ich verlasse die Stadt.«
So viel Beredsamkeit, so viel Einsicht, dachte sich der Sportchef der Nürnberger Nachrichten Klaus Westermayer, hätten Heinz Höher in der Vergangenheit das ganze Theater und diesen Abschied ersparen können.
Am Horizont legte sich der Himmel auf das Meer. Je länger Heinz Höher auf die Nordsee hinausschaute, desto stärker wuchs das Gefühl, weit weg von allem zu sein. Die Farben des Himmels und des Meers waren ausgewaschen, gräulich das Blau, bräunlich auch das Gelb des Sandstrands unter seinen Füßen. Der norddeutsche Februar kannte nur matte Töne. Er war, zumindest hier am Strand, der einzige Mensch auf Erden. Das war ein beruhigendes Gefühl.
Er lief los. Immer den Strand entlang, von Westerland Richtung Hörnum. Seit fünfzehn Jahren kam er nach Sylt, um Kopf und Körper von der Frische der Luft reinigen zu lassen. Er hatte sogar seine Mannschaften nach Sylt gebracht. Der Bus hatte die Elf des VfL Bochum in den Siebzigern in Westerland abgesetzt, es war Sommer, Saisonvorbereitung, und dann mussten sie laufen, bis ans Ende der Insel 18, 19 Kilometer und keine Chance abzubrechen, weil der Bus erst am rot-weiß gestreiften Leuchtturm wartete, am Ende der Welt, wo nur noch blaue Weite war. Mit dem 1. FC Nürnberg hatte er mitten in der Saison ein Trainingslager auf Sylt bezogen, das konservative Establishment der Bundesliga, Otto Rehhagel und die anderen, hatte bestimmt den Kopf geschüttelt, Trainingslager auf Sylt, mitten in der Saison, aber das war seine Stärke: dass er Ideen hatte, dass er die Dinge anders machte. In der Saison nach dem Aufstieg war er mit dem Club nach Sylt gereist, September 1985, sie waren noch jung gewesen, Eckstein, Reuter, Grahammer, Dorfner. Sie hatten noch uneingeschränkt daran geglaubt, dass es immer so weitergehen würde; vorwärts.
Die Gedanken wurden sanfter auf Sylt. Er lief den Strand entlang, der Blick ging in die Weite, und er sah das ganze Bild.
Wenn mir Hermann Gerland zugehört hätte, wenn ich vernünftiger mit ihm geredet hätte, hätten wir gemeinsam Erfolg haben können. Aber vernünftig reden konnte ich eigentlich noch nie mit jemandem. Ich habe immer nur versucht
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