Spieltage
Fußballmeisterschaft statt. Der 1. FC Nürnberg mit einem 23-jährigen Max Morlock schlug den 1. FC Kaiserslautern mit Fritz und Ottmar Walter 2:1, und Heinz Höher wusste, was er werden würde: Fußballer. Johannes und Manfred spielten als Vertragsspieler für Bayer 04, später auch für Preußen Dellbrück in der Oberliga West. Sie verrieten ihm, was ihnen bezahlt wurde: 160 der neu geschaffenen Deutschen Mark. Edelbert, der dritte Bruder, war anders. Er sang und spielte Theater. Er trug eine Brille.
Als der Dachdecker Krämer Anfang der Fünfzigerjahre in der Hauptstraße 110 ein neues Haus baute, bewarb sich der Vater frühzeitig als Mieter. Die Familie brauchte mehr Platz. Opa Hermanns und Onkel Paul wohnten mittlerweile auch bei ihnen. Heinz kam mit ihnen in ein Zimmer. Paul, der unter einem länglichen Wasserkopf und einem Klumpfuß litt, stotterte fürchterlich. Außer wenn er sang. Er war eine Stütze des Kirchenchors mit seiner wunderschönen klaren Stimme.
In der Hauptstraße 110 floss warmes Wasser aus den Leitungen. Manfred und Edelbert hatten Klappbetten, die tagsüber hinter Vorhängen verschwanden, sodass sogar ein Wohnzimmer entstand. Das Bad teilten sich alle, auch Josefine, die neueste Mitbewohnerin. Sie war frisch mit Johannes verheiratet.
Zwischen Johannes, dem Ältesten, geboren 1922, und Hilla, der Jüngsten, lagen 20 Jahre. Hatte sie als Kleinste, zumal als einziges Mädchen unter den Geschwistern, mit durchsichtiger Haut und langen hellen Haaren, nicht das Recht, als Nesthäkchen verhätschelt zu werden? Aber die Rolle war Heinzchen zugefallen.
Der Vater sagte, vom Tisch wird nicht aufgestanden, bis der Letzte gegessen hat, und wenn Heinz dann mitten im Essen aufstand, weil ihn Essen langweilte, sagte der Vater nichts. Seine Fußballtasche konnte Heinz nach dem Training mit der Schülermannschaft von Bayer 04 in die Ecke feuern. Die Mutter räumte sie aus.
Was den Eltern bei der Erziehung wichtig schien, war, dass die Kinder lernten, nicht zu jammern und zu klagen, sondern weiterzumachen.
Heinz durfte montags die Schule schwänzen. Er hatte es sich vom Vater abgeschaut. Im Laden ein souveräner Bürger mit besten Manieren, verwandelte sich der Vater in der Familie in einen sanften, aber kränklichen Mann, der montags oft nicht aufstand. Sonntagabends nach dem Fußball wurde das Bier in Krügen vom Gasthaus Krahne nach Hause getragen. Heinz Höher fing irgendwann mit 14, 15 montagmorgens an zu sagen, ihm sei schlecht. Zuerst kam die Mutter an sein Bett, um nachzusehen, dann der Vater, sie konnten nichts feststellen, aber wenn das Heinzchen sagte, ihm gehe es schlecht, wollten die Eltern kein Drama anzetteln. Er blieb im Bett und las Durch das wilde Kurdistan, 560 Seiten an einem Tag.
Sonntags zeigte der Vater allen, wer er war. Als einer der Ersten in Leverkusen hatte er ein Auto erworben. Sonntagmorgens nach der Kirche führte er den Mercedes 170 V vor. Die Kinder mussten auf der Sitzbank Platz nehmen, und dann fuhr die Familie spazieren. Die Fahrt ging durch das Bergische Land, über Dörfer, in denen der Vater langsamer rollte. Auf der Rückbank sang Edelbert Lieder. Sie hielten nicht an, sie stiegen nie aus. Der Sinn des Vergnügens war doch zu fahren.
Auf der Autobahn Richtung Remscheid fuhren die Kinder mit dem Fahrrad. Die zerbombte Brücke vor Wermelskirchen war noch nicht wieder aufgebaut. Autos kamen nicht durch. Heinz und seine Freunde fuhren mit ihren Rädern vor der zerstörten Brücke den Waldweg hinunter und auf der anderen Seite des Tals wieder auf der Autobahn weiter.
Sonntagnachmittags wurde es plötzlich still im Haus. Die Männer waren ausgeflogen, zum Fußballplatz. Von der Stille aufgeschreckt, glaubte die Mutter, sich um die Tochter kümmern zu müssen. Hilla durfte sich ein Stück Kuchen kaufen, und die Mutter bot an, mit ihr Mühle zu spielen. Sonst wurde bei Höhers immer nur über das Geschäft und Fußball geredet.
Dass der Jüngste unübersehbar der begabteste Fußballer einer talentierten Familie war, trug zu Heinz Höhers Charme gehörig bei. Mit 14 spielte er bei den 18-Jährigen in Bayers Jugendelf. Zu Auswärtsspielen fuhren sie mit dem offenen Lastwagen von Gemüse Meeser. Nach den Spielen, vor allem wenn sie gewonnen hatten, mussten sie auf dem Laster oft die Köpfe einziehen. Die Gegner warfen ihnen Steine und Flaschen hinterher.
Hilla fand es nicht nur ungerecht, dass ihr Bruder so verhätschelt wurde, sondern auch verständlich. Er war doch so
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