Spieltage
Lizenzspieler gegen Ende ihrer Karriere die Trainerschulung machten, die Vorlesungen fanden nur vormittags statt, auf das Training der Bundesligisten wurde Rücksicht genommen. Aber Vogts war erst 21, Bleidick 23.
Mensch, habt ihr das gehört: Er glaubt, ich würde euch bevorzugt behandeln, sagte Weisweiler zu den drei Mönchengladbachern, so laut, dass alle es hörten.
Heinz Höher senkte den Kopf und bestritt mit Muskelfaserriss klaglos die Lehrübungen auf dem Fußballrasen. Von dem Tag an behandelte ihn Weisweiler freundlich. Heinz, machen Sie mal, sagte Weisweiler gelegentlich morgens um acht in der ersten Theoriestunde, wenn sein Kopf noch schwer von den paar Schnäpsen am Abend zuvor war. Heinz Höher trat vor die Klasse und referierte spontan über Kleinfeldspiele vier gegen vier als ideale Passschule oder was sonst auf dem Lehrplan stand. Weisweiler saß daneben und schlief mit verschränkten Armen und offenen Augen seinen Rausch aus.
Vierzig Jahre zuvor hatte Ernest Hemingway allen gezeigt, was ein echter Mann war: einer, der an der Bar richtig was vertrug und eisern seinen Weg ging. Weder Weisweiler noch Heinz Höher, noch sonst jemand, der bei Trost war, zweifelte dieses Männerbild an.
Nachts lag Heinz Höher wach und dachte an den Schnee, der vor dem Fenster fiel. Er musste am nächsten Morgen an der Sporthochschule den Praxisteil seines Trainerexamens bestreiten, das Aufwärmspiel fünf gegen zwei war das Thema. Wie sollte er das im Schnee der Kommission vorführen?
Er wachte nachts oft auf, und dann wichen die Gedanken nicht mehr von ihm. Warum hast du den Haken gestern im Training nicht eine Zehntelsekunde früher geschlagen, dann wärst du an Dieter Versen vorbei gewesen; wenn Wüst nicht endlich das Handgeld auszahlt, hole ich mir wenigstens ein paar Anzüge aus seinem Herrenbekleidungsgeschäft; diese Penner von Schlegel, diese Penner.
Wenn er die Gedanken wenigstens zähmen und ordnen könnte, dann wäre das Wachliegen nicht ganz so unerträglich.
Da hatte Heinz Höher eine Idee. Er erfand Herrn Winzlinger.
Er stellte sich vor, ein Mann wäre bei ihm im Schlafzimmer, mit dem er all die nächtlichen Gedanken besprechen könnte. Dann würden die Probleme nicht mehr kreisen, sondern er könnte sie strukturiert im fiktiven Dialog abhandeln.
Na, du Winzling, begrüßte er seine Phantasie-Figur.
Ich bin kein Winzling, ich will einen richtigen Nachnamen und am besten noch einen Doktortitel. Schließlich bin ich der Herr deiner Ideen.
Wie wäre es mit Herr Winzlinger?
Pah.
Jetzt hör mal zu, Winzlinger, morgen muss ich die Abschlussprüfung beim Trainerkurs bestehen. Dafür muss ich irgendetwas Originelles in das Spiel fünf gegen zwei einbauen. Aber bei dem Schnee wird man die Übung gar nicht richtig zum Laufen bringen.
Ich hätte da eine Idee, sagte Winzlinger.
Am nächsten Morgen stand die Prüfungskommission auf dem Fußballplatz der Sporthochschule, fünf Mann, die Hände in den Jackentaschen, das Kinn im Kragen. Mit orangefarbenen Plastikhütchen steckte Heinz Höher einen Kreis ab. Sieben Kommilitonen dienten ihm als Versuchskaninchen. Fünf gegen zwei war weltweit ein Lieblingsspiel aller Fußballer, fünf stehen im Kreis und lassen den Ball laufen, zwei in der Mitte müssen versuchen, ihn zu kriegen.
Okay, weil heute Schnee liegt, gibt es eine Regeländerung, sagte Heinz Höher: Die zwei in der Mitte dürfen den Ball auch mit den Händen fangen.
Was soll denn das?, raunzte Weisweiler.
Meine Herren, sagte Heinz Höher. Los geht’s.
Der Ball flitzte auf dem glatten Schnee von Fuß zu Fuß im Kreis, als einer der zwei in der Mitte zum ersten Mal wie ein Torwart nach dem Ball hechtete. Alle lachten.
Es geht doch hier um Fußballtraining!, rief Weisweiler.
Es geht um ein spielerisches Aufwärmen, sagte Höher.
Die Vorführspieler lachten und ließen den Ball flitzen; sie wollten sehen, wie die zwei in der Mitte hechteten und flogen. Wie sehr sie dabei das schnelle, präzise Passspiel übten, merkten sie selbst nicht mehr.
Prüfung bestanden, sagte Weisweiler und reichte Heinz Höher die Hand.
Er war noch ein Spieler des VfL Bochum und wurde schon wie ein Trainer behandelt. Ottokar Wüst suchte gerne seinen Rat in sportlichen Fragen, und im Frühsommer 1969 merkte Heinz Höher in einem Gespräch mit dem Präsidenten, dass er sich selbst schon als zukünftigen Trainer sah, obwohl er als Spieler wirkte. Nehmen Sie auf jeden Fall den Walitza, drängte er Wüst. Hans Walitza von
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