Spieltage
Schwarz-Weiß Essen galt als immens begabter Mittelstürmer. Auf der Position agierte beim VfL Bochum meistens Höher. Er hatte gerade die eigene Versetzung auf die Ersatzbank empfohlen.
Nach einer Saison, in der Bochum mit einer Offenbarung im Sturm, Hans Walitza, die Aufstiegsrunde zur Bundesliga erreichte und wieder nicht aufstieg, wurde aus dem Fußballspieler Heinz Höher im Sommer 1970 offiziell ein Trainer. Er war 32. Nicht viele hatten ihre Fußballerzeit bis in dieses hohe Alter dehnen können. Er schaute nicht mehr zurück auf unerfüllte Träume, er schaute nach vorne.
Fußballer wurden am Ende ihrer Laufbahn Trainer, weil sie den Fußball so liebten, dass sie unbedingt dabeibleiben wollten, weil sie sich eigentlich immer irgendwie als Lehrertyp gesehen hatten oder weil Trainer immer noch besser als Wirt war. Nur selten fanden Fachleute wie Hennes Weisweiler oder Dettmar Cramer den Weg in die Bundesliga, für die Trainer nicht nur der zweitschönste Beruf nach dem Fußballspieler war, sondern die große Erfüllung, das wahre Ziel.
Wer nicht selbst ein guter Fußballer gewesen war, konnte nicht mit guten Fußballern arbeiten, war der gängige Glaube. Abgesehen von zwei Trainern, die ihre Spielerzeit an den Krieg verloren hatten, war von den 18 Bundesligatrainern im Juli 1970 ein Einziger nicht selber in der Ersten oder Zweiten Liga aktiv gewesen, Klaus-Dieter Ochs vom Hamburger SV.
Der VfL erfand für Heinz Höher eine Stelle. Er wurde Assistenztrainer. Manche Vereine in der Bundesliga hatten in den jüngsten Jahren einen Trainergehilfen angeschafft, es galt als modern, um nicht zu sagen: schick, ein Zeichen von Akribie. Das Problem war nur, dass Trainer Hermann Eppenhoff gar keinen Gehilfen brauchte.
Eppenhoff hatte die zurückhaltende Art eines Mannes, der zu viele Gefühle im Krieg verloren hatte. Erst vier Jahre nach Kriegsende war Eppenhoff aus der sowjetischen Gefangenschaft zurückgekehrt. Die Sparsamkeit seiner Gesten, die nur mit einem steifen Lächeln angedeutete Freude nach einem sensationellen Pokalsieg trug zu seiner formellen Eleganz bei. Zum Anzug trug er Rollkragenpullover statt Krawatte. Fußball hatte er in den Dreißigerjahren gelernt.
Der Trainingsplan beim VfL Bochum las sich hochwissenschaftlich, montags Schwimmen und Wasserarbeit im Bergmannsheil, dienstags Konditionstraining und Laufschule, mittwochs Krafttraining, donnerstags Spiel zweier Mannschaften, freitags Einzeltraining und taktische Übungen. In Wirklichkeit machten sie fast jeden Tag ein freies Spiel über den ganzen Platz.
Heinz Höher hatte Ideen, nachts mit Winzlinger hatte er alles durchgesprochen, er könnte die Mannschaft mit einem völlig neuartigen Training vorwärtsbringen. Er musste sich mit Eppenhoff einmal zusammensetzen und alles durchsprechen.
Beim Training, Tag für Tag, standen Eppenhoff und Höher stumm nebeneinander.
Na mach schon, du Feigling, traust du dich nicht, mit ihm zu reden, sagte nachts Winzlinger.
Halt du dich da raus, ich mach das schon, ich muss nur den rechten Moment finden.
Das sagst du schon seit Tagen.
Ruhe jetzt, ich will schlafen!
Zwei Tage später, die Saison hatte gerade begonnen, fand Hermann Eppenhoff einen Brief in der Trainerkabine. Heinz Höher, mit dem er eben noch belanglose Nettigkeiten ausgetauscht hatte, war nach Hause geeilt.
Bochum, 21. 8. 1970
Sehr geehrter Herr Eppenhoff!
Sie werden sicher mehr als überrascht sein, von mir einen Brief zu erhalten, da wir uns doch beinahe täglich sehen und ich sicher Gelegenheit gehabt hätte, Ihnen das zu sagen, was ich Ihnen hiermit schriftlich mitteile. Was mich zu diesem Schritt bewogen hat, ist nicht die Angst vor einem offenen Gespräch, sondern die Tatsache, daß Sie sich, sooft ich dieses Gespräch gesucht habe, aus verständlichen Gründen abgekapselt und verhärtet haben, da es sich bei diesem Thema um eines der wenigen in Sachen Fußball handelt, bei dem Sie und ich – wie ich annehme – verschiedener Meinung sind.
Vorausschicken möchte ich, der ich als Spieler doch einige Trainer kennengelernt und von einigen gehört habe, daß ich Sie für einen der besten Trainer in Deutschland halte. So betrifft das Nachfolgende doch nur einige geringe Teile dessen, was einen guten Trainer ausmacht.
Diesen Brief im besonderen ausgelöst hat die Nacht vom Mittwoch auf Donnerstag, genauer gesagt der Fernsehbericht vom Pokalspiel Aachen gegen Köln. Was die Kölner an diesem Abend gegen einen Gegner von schätzungsweise
Weitere Kostenlose Bücher