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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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Fingern. 1964 hatte er den Bundestrainerposten an Helmut Schön abgetreten. Der Trainerwechsel war nicht exakt zeitgleich mit der Bundesligagründung einhergegangen, aber es fühlte sich so an, als ob mit der Einführung der Bundesliga eine Wende vollzogen worden war: der Fußball mit und nach Herberger. Heinz Höher hatte noch eine Halbzeit Gelegenheit zu beweisen, dass er in beiden Zeiten zu Hause war.
    Das Plakat stand noch immer in der Luft: »Hopp, hopp, hopp, wir schaffen auch den Ziegenbock.« Die Bochumer Außenverteidiger rückten ständig auf, Wiesemes rannte, obwohl er dort, wo seine Beine sein mussten, nur noch Schmerzen spürte. Kurz hinter der Mittellinie unterbrach Kölns Rühl das Bochumer Passspiel und dribbelte einfach los. Zum Tor waren es über 60 Meter, aber er hatte nur noch drei Gegner vor sich, da alle anderen Bochumer aufgerückt waren. Rühl schlug Haken, lief Slalom, eine Körpertäuschung, dann war auch Torwart Christopeit geschlagen. 3:1. Plötzlich – denn im Fußball ist alles Plötzlichkeit – spürten Bochums Verteidiger Wiesemes, Versen und Schiller, die alle krank oder verletzt ins Spiel gegangen waren, ihre Wunden. Plötzlich stand Heinz Höher, der wie verrückt gelaufen war. Es waren noch 33 Minuten zu spielen, und er wusste: Das Spiel war aus.
    Kölns 4:1 war nur noch eine makabere Bestätigung.
    Gerd Wiesemes erschien nicht zur Siegerehrung. Er lag in der Umkleidekabine auf dem Boden und dachte, er sei gestorben. Sein Kreislauf war mit dem Schlusspfiff kollabiert. Die Kölner Spieler kamen in die Kabine. Sie luden die Bochumer als Gäste zu ihrem ersten Europapokalspiel ein. Heinz Höher registrierte es mit gesenkten Augen. Er würde die wohlwollenden Berichte über seinen Finalauftritt lesen, der Gedanke würde auch ihm kommen: mit Bochum im DFB-Pokalfinale, das war das Größte. Aber das nahm weder ihm noch Gerd Wiesemes das Gefühl, sich selbst enttäuscht zu haben.
    Machte das der Fußball aus ihnen? Menschen, die immer am stärksten wahrnahmen, was sie nicht erreicht hatten?
    Erika Wiesemes hatte das kurze schwarze Kleid für das Festbankett im Garten-Hotel zu Bad Dürkheim angezogen. Die Röcke waren nun mini. So elegant saß sie dann die meiste Zeit des Abends am Bett ihres Mannes. Heinz Höher trank stumm zwei Bier und einen Klaren. Doris, von einer Angina geplagt, war auch nicht in Feierform.
    Gerhard Wendland, das dichte Haar mit Pomade zurückgekämmt wie zu seinen besten Zeiten, gab sich alle Mühe, mit seiner Kapelle Freude in den Festsaal zu bringen. Wendland zählte zu den Freunden von Trainer Hermann Eppenhoff, so hatte der VfL Bochum den erfolgreichen Schlagerstar engagieren können. Er sang die Hits, Das machen nur die Beine von Dolores oder Nein, nein, nein, Valentina. Und so langsam kam Stimmung auf. »Mary-Rose, Mary-Rose!«, riefen die Spielerfrauen von ihren Plätzen an der feinen weißen Tischdecke. Wendland lächelte, er nickte der Kapelle zu, und dann sang er zum Abschluss des Tages: »Mary-Rose, Mary-Rose, deine Tränen sind so groß.«

1968–1971
Auf der anderen Seite der Seitenauslinie
    Heinz Höher verspürte immer weniger Lust, bei Schlegel zu arbeiten. Dass die Brauerei auch keine Lust mehr haben könnte, ihn zu beschäftigen, überraschte ihn. Perplex ließ er die Worte des Personalchefs nachwirken: So haben wir uns entschieden, Ihre Anstellung zu beenden.
    Er hätte gedacht, es wäre eine Befreiung, nicht mehr in dieses Büro zu müssen. Nun war es ein Schock. Er hatte sich stets als Profifußballer definiert, schon zu Zeiten, als der Beruf offiziell noch gar nicht existierte. Die 1000 Mark, die ihm Schlegel jeden Monat gezahlt hatte, hatten ihn weiter in der Illusion leben lassen, eigentlich spiele er nur Fußball, er müsse bloß zusätzlich zum Training ein paar Stunden im Büro unter dem Malzsilo absitzen. Er war der Spielmacher des Aufstiegskandidaten VfL Bochum, DFB-Pokalfinalist mit der »erstaunlichsten Mannschaft des Jahres«, wie der Kicker schrieb. Aber faktisch war er nun ebenso arbeitslos.
    Er hatte nie auf das Geld achten müssen. Nun begann er zu zählen. 320 Mark bekam er monatlich vom VfL, wenn er Glück hatte, kamen noch einmal 500 durch Siegprämien hinzu, dann die 5000 Handgeld pro Saison. Aber wann der Präsident die Prämien zahlte, wusste niemand. Dem gegenüber standen allein 392 Mark Kaltmiete. Auto, Lebensmittel, Kleidung, Kartenspielen. Er brauchte nicht weiter zu rechnen, um zu wissen, dass es knapp

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