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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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ruhig rein«, sagt sie zu mir. »Herr Brämer spielt nur allein in seinem Büro Theater, um sich abzureagieren.«
    Das Geld, das nie da war, machte sie beim VfL Bochum zu eleganten Lügnern und noblen Betrügern. Heinz Höher überredete im Trainingslager auf Sylt mehrere Restaurantbesitzer, ihm Rechnungen über mehrere Tausend Mark auszustellen. Er hatte in den Restaurants nur ein Kännchen Kaffee getrunken. Die Rechnungen deklarierte der VfL Bochum bei der Steuererklärung unter Ausgaben als Mannschaftsabendessen. So mussten sie Einnahmen im gleichen Wert nicht versteuern.
    Niemand hatte Heinz Höher dazu angehalten. Er hatte Wüsts Klagelied vom fehlenden Geld unbewusst verinnerlicht.
    Ihr lasst es im Trainingslager ja ganz schön krachen, sagten die Finanzprüfer des DFB anerkennend zu Bochums Geschäftsführer Willi Hecker, als er ihnen die Jahresbilanz präsentierte: Ihr gebt da in den Restaurants mehr Geld aus als Bayern München.
    Mensch, ihr seid vielleicht eine Truppe.

30. November 1974
Die Frauen kommen
    In einem Fernsehstudio auf dem Mainzer Lerchenberg tickte unaufhaltsam eine Bahnhofsuhr vorwärts. Exakt nach dem dritten Takt einer Begleitmelodie schwenkte die Fernsehkamera von der Bahnhofsuhr auf die Tribünen im Studio, die Zuschauer trugen Bärte und Hornbrillen, gelbe Hemden zu braunen Sakkos oder weiße Blusen mit riesigen Kragen und die Frisuren, egal, ob Frau oder Mann, ähnlich; die Haare an den Seiten anliegend, über die Ohren hinaus und in der Stirn mit ein paar legeren Kammstrichen zur Seite getrimmt. Heinz Höher, im grau-beigen Sakko mit breitem Kragen, saß in einer Umkleidekabine hinter dem Studio. Zum ersten Mal würde er im Aktuellen Sportstudio des ZDF zu Gast sein. Es war ein Ritterschlag.
    Wer etwas erreicht hatte im Sport, wurde ins Sportstudio geladen, Franz Beckenbauer, Muhammad Ali, Pelé. Wer jemand war im Land, durfte auch kommen, wenn er sich dem Sport nur als Fan widmete oder sich wenigstens als Sportfan ausgab, Bundespräsident Gustav Heinemann und Schauspielerin Heidi Brühl waren zu Gast. Seit dem deutschen Weltmeisterschaftssieg 1974 sah man die Bundesliga wieder gerne und wurde gerne in Verbindung mit dem Fußballsport gesehen; lag der Bestechungsskandal nicht drei Jahre und eine Ewigkeit zurück? Die Zuschauerzahlen in den Stadien stiegen. Das Aktuelle Sportstudio sahen sogar zu einem großen Teil die, die nie ins Stadion gehen würden.
    Das Sportstudio zu schauen war in den Siebzigern ein großes Freizeitvergnügen am Samstagabend, zwölf Prozent aller deutschen Haushalte waren am 30. November 1974 ab 21:15 Uhr zugeschaltet. Regelmäßig sahen mehr Frauen als Männer zu, was die Redakteure der Sendung selbst überraschte. Sie konnten sich noch ausmalen, dass der Mann zu Hause das Samstagabendprogramm bestimmte und die Frau einfach mitschauen musste, aber wie kam dann die Überzahl an Frauen zustande? Gefiel ihnen die Sendung, weil hier Sport nicht aus Zahlen und Zeiten bestand, sondern aus echten Menschen?
    Oder schauten sehr viele Deutsche zu, weil sie am Samstagabend keine andere Alternative sahen? Hausbälle gab es in deutschen Wohnstuben im Schnitt deutlich spärlicher als bei den Höhers, ins Restaurant gingen Familien selten, und wenn, dann sonntags zum Mittagessen. Die Tanzsäle waren ein Privileg der Jugend, das Theater ausschließlich ein Ort des Bildungsbürgertums, und die Kinos starben. Von den 7000 Kinos aus dem Jahr 1959 war nur noch rund ein Drittel geblieben. Die Kinobesitzer drittelten und viertelten ihre großen Prachtsäle, um mehrere Filme auf einmal zeigen zu können und irgendwie zu überleben. Innerhalb eines Jahrzehnts war das Fernsehen, praktisch aus dem Nichts, zur dominierenden Abendaktivität geworden.
    Mensch, wisst ihr noch, wie wir damals das erste Sportstudio produziert haben, erzählte sich die Rhein-Ruhr-Mafia der ZDF-Sportredaktion nachts, nach der Sendung, im Adlerstübchen in Wiesbaden. Es war erst elf Jahre her.
    Vier Stunden habe damals, 1963, die erste Sendung gedauert, sagte einer. Nein, über vier Stunden, ein anderer. Mit jeder Erzählung dauerte sie ein wenig länger.
    Und wie wir in Eschborn, in Telesibirsk, in der Dorfschänke essen waren.
    Da haben wir Zahnstocher in die übrig gebliebenen Pommes frites geschoben, weil wir unseren Verdacht überprüfen wollten, ob das übrig gelassene Essen tatsächlich am nächsten Tag noch einmal serviert werden würde.
    Mit welchen technischen Mitteln wir damals arbeiteten. Ich sehe

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