Spieltage
VfB Stuttgart umworben. Er sagte allen ab. Ihm reichte das Wissen, gefragt zu sein. Falls er irgendwann einmal aus Bochum fortwollte, würde er sein Ziel frei wählen können.
Die Zeitungen, die ihn porträtierten, fotografierten ihn gerne mit seiner Familie. Ein guter Trainer erschien noch besser, wenn er ein ordentlicher Familienvater war.
Die 68er-Bewegung hatte auch in die Erziehung jede Menge neue Ideen eingebracht. Kinder sollten machen dürfen, was sie wollten, oder wenn dies schon nicht möglich war, so sollten sie doch mit viel mehr Verständnis als Strenge erzogen werden. Heinz Höher hatte nicht das Gefühl, dass er etwas von dieser Antiautoritärenerziehung annehmen sollte. Die 68er waren links. Entweder man war links, oder man war rechts, da gab es keine Brücken, keine Grauzonen. Und er rechnete sich, seit er als Kind Adenauer verehrt hatte, ohne es zu hinterfragen, der anderen Seite, den Konservativen, zu.
Wenn er mit Markus Mathe übte, setzte er sich neben seinen Sohn und wartete, bis er die Aufgaben gelöst hatte. Wenn Markus sich schwertat, dann wartete er eben drei Stunden neben seinem Sohn. Ihm zu helfen, ihm etwas zu erklären kam nicht infrage. Der Sohn musste das selbst lösen, um wirklich etwas dabei zu lernen.
Heinz Höher meldete Markus beim Ju-Jutsu-Training an. Er dachte, es sei wichtig, dass Markus lerne, sich zu wehren. Er fragte den Sohn nicht, ob er zum Ju-Jutsu gehen wollte.
Nachmittags, wenn trainingsfrei war, ging Heinz Höher mit den Kindern schon einmal ins Weitmarer Holz, und sie spielten, komm, wir fangen ein Reh. Wenn er zum Präsidenten zu einer Besprechung in dessen Herrenkonfektionsgeschäft an der Brückstraße fuhr, nahm er die Kinder bisweilen mit. Er ließ sie im Auto sitzen. Dort konnten sie besser spielen.
Einmal wurde es den Kindern zu lang. Susanne und Markus liefen von der Brückstraße nach Hause. Es waren über vier Kilometer. Heinz Höher war ein wenig stolz. Dass die Kleinen den Weg schon alleine fanden.
Ottokar Wüst bat Heinz Höher zu ihren Gesprächen in die Kleiderkammer. So nannten die Spieler und Trainer des VfL das Hinterzimmer des Herrenkonfektionsgeschäfts, in dem nicht nur ein Schreibtisch stand, sondern auch überzählige Kleidung lagerte. Es war faktisch der Präsidentensaal des Bundesligisten VfL Bochum.
Wer nicht immer und ewig Optimist sei, ganz gleich, in welcher Lage, dürfe und könne keine Menschen führen, sagte Wüst Höher und landete, ohne das Thema anzusteuern, dann immer wieder bei der nur zum Pessimismus einladenden Finanzlage des VfL. 500000 Mark Verbindlichkeiten hatte der Verein bereits nach einem einzigen Jahr Bundesliga angehäuft. Viel besser würde es nicht werden.
Bochum war der Standort von Firmen wie Opel und Aral, aber die Mäzene des VfL waren die Bäckerei Schweinsberg und der Metzger Antico, bei dem es die frische Schweineleber, vitaminreich und leicht bekömmlich, das halbe Kilo für 1,98 Mark, gab. Mehr als ein paar Tausend Mark im Jahr konnten Bäcker und Metzger nicht beisteuern. Dafür saßen sie im Vorstand. Weshalb sollten sich internationale Firmen wie Opel oder Aral bei Fußballbundesligisten engagieren, die doch nur regionale Resonanz fanden?
Wenn ein Fußballer des VfL seine heimlich fixierten Extrazahlungen forderte, schickte Wüst ihn zum Aufsichtsratsvorsitzenden Heinz Brämer in die Westfalen-Bank.
Brämer, der mit den grauen Haaren und der dicken Hornbrille eben noch so alterselegant gewirkt hatte, riss hysterisch die Schubladen seines Direktorenschreibtischs auf.
Siehst du hier Geld?, brüllte er den Spieler an. Oder hier? Alles leer.
Brämers Aggressivität richtete sich gegen sich selbst. Wieso lieh er Wüst immer wieder gegen seinen eigenen Verstand Geld der Bank? Wo er doch ahnte, dass die Bank einen großen Teil davon nie wiedersehen würde.
Also gut, komm mit, sagte er schließlich zu dem Spieler und holte Geld aus dem Tresor.
War es Ata Lameck, Jürgen Köper oder Franz-Josef Tenhagen, dem die folgende Geschichte mit Brämer passierte? Die Spieler des VfL wussten es schon bald nicht mehr; jeder von ihnen erzählte die Geschichte, als ob sie ihm persönlich widerfahren wäre:
Da komme ich also in die Westfalen-Bank, um mein Geld bei Brämer abzuholen, und höre ihn schon von Weitem durch die Tür seines Büros brüllen.
»Das geht zu weit, Herr Wüst! Es hat ein Ende, keinen Pfennig sehen Sie mehr von mir!«
Erstaunt blicke ich Helga, seine Sekretärin, an.
»Ach, gehen Sie
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