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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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Carmen Thomas im Aktuellen Sportstudio von Schalke 05 spricht? Sie wird gefeuert. Ach, ihr Männer! Hättet ihr doch ein bisschen mehr Sinn für einen Hauch von Weiblichkeit im Sport.«
    In der Redaktion sagte ZDF-Sportchef Friedrichs zu Carmen Thomas, ihre Interviews seien wirklich sehr interessant und so facettenreich. Nach den Sommerferien solle sie genau so weitermachen. Die Bild- Geschichte erwähnte Friedrichs nicht; als hätte es sie nie gegeben.
    Sie hatte das Gefühl, gegen die ganze Nation zu moderieren. Selbst die Feministinnen ignorierten sie oder schrieben ihr Briefe, sie sei das Feigenblatt der Männer. Zwischendurch produzierte sie Beiträge für das Sportstudio , die ihr eine tiefe Zufriedenheit verschafften, über Sport im Gefängnis etwa, sie fand, dass sie in den Interviews besser wurde. Aber eine Normalität wollte sich nicht einstellen. Carmen Thomas blieb die erste Frau, die über Fußball im Fernsehen redete, die Frau, die für die einen scheitern musste und für die anderen nicht scheitern durfte. In dieser Situation moderierte sie, 15 Monate nachdem die Bild- Zeitung sie gefeuert wähnte, unverdrossen das Sportstudio .
    »Das ist der gegebene Anlass«, sagte Carmen Thomas am 30. November 1974 mit einer natürlichen, sympathischen Sanftheit und zeigte auf den Mann neben ihr, im schwarzen Hemd mit feinen braunen Zickzackstreifen unter dem grau-beigen Sakko: »Heinz Höher, Trainer des VfL Bochum.«
    Die Zuschauer klatschten. Im Hinterkopf spürten wohl viele, dass der Satz gerade recht unvollständig gewesen war. Aber was Carmen Thomas sagen wollte, konnte jeder erahnen. Im Fernsehen war es nicht so wichtig, was man sagte. Es kam darauf an, wie man wirkte. Die Sätze, die Aussagen, die Inhalte rauschten vorbei, was das Publikum behielt, war ein Eindruck.
    Ein 3:0-Sieg des VfL Bochum über den deutschen Meister und Europapokalsieger Bayern München im Freitagsspiel der Bundesliga hatte Heinz Höher die Ehre einer Einladung verschafft. Erstmals seit dem Halbfinalsieg im DFB-Pokal 1968, als er selbst noch mitgespielt hatte, war das Stadion in Bochum mit 34000 Zuschauern wieder ausverkauft gewesen.
    »Karnevalsstimmung an der Castroper Straße«, meldete der Kommentator des Spielberichts im Sportstudio: »Vor Anpfiff musste ein neunjähriger Junge mit Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden.«
    Drei Gäste lud das Sportstudio samstäglich ein. Zwei wurden im Voraus bestimmt, der Dritte wurde, wie nun Heinz Höher, aktuell nach dem Sportgeschehen des Wochenendes ausgewählt, oft erst vier Stunden vor Sendebeginn. Wenn sich kein herausragender dritter Gast herbeischaffen ließ, musste Sendeleiter Karl Senne wieder bei Bundestrainer Helmut Schön anrufen.
    Schön wohnte in Wiesbaden. Er war schnell im Studio in Mainz. Von daher war er, auch als Trainer der Weltmeister von 1974, weiterhin der erste Notnagel für das Sportstudio.
    Der Helmut ist mit dem Dickie spazieren, sagte Annelies Schön des Öfteren am Telefon zu Senne. Dickie war der Hund.
    Wer ist euch denn heute wieder abgesprungen, sagte Helmut Schön später, wenn ihn Senne schließlich erreichte. Ist ja gut, ich komme ja schon.
    »Ist Ihre Brust denn nun stolz geschwollen?«, fragte Carmen Thomas Heinz Höher, 24 Stunden nach dem 3:0-Sieg über die großen Bayern.
    »Ich glaube, das dauert im Fußball oft nur sechs, sieben Tage, dann muss man den Kopf wieder niedriger tragen. Von daher ist man gut beraten, immer normal zu bleiben.«
    Carmen Thomas suchte vorsichtig Augenkontakt zu ihrem Gast. Heinz Höher schaute schüchtern, nicht unhöflich die meiste Zeit auf den Boden. Er war vor der Sendung noch beim Friseur gewesen. Sicher hatte ihn seine Frau daran erinnert.
    »Herr Höher, Sie haben zu ganz ungewöhnlichen Methoden gegriffen, um Ihren Verein zu unterstützen. Sie sollten das den Zuschauern erzählen.«
    Kurz hob Heinz Höher den Kopf aus seinen hochgezogenen Schultern, um ihr vorsichtig in die Augen zu schauen. »Ja, wenn Sie meinen, dass ich auf den Teil meines Gehalts verzichte? Ich weiß nicht, es sollte kein Beispiel setzen, sondern einfach meinen Glauben an die Mannschaft dokumentieren.«
    »Und dafür, das muss man mal ganz deutlich sagen, lassen Sie sich jeden Monat 1000 Mark Ihres Gehalts abziehen, damit mit dem Geld die Mannschaft gestärkt werden kann. Da frage ich mich natürlich: Was sagt Ihre Frau dazu?«
    Gelächter im Publikum.
    »Meine Frau hat es tatsächlich erst aus der Zeitung erfahren und eigentlich

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