Spieltage
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Die Flugzettel hatte Höher in Eigenregie produziert und finanziert. Die Drucker der Zeitungsverlage in ganz Deutschland streikten schon seit Tagen für eine Tariferhöhung, es erschienen keine Tageszeitungen. Er musste auf andere Art zu den Fans gelangen, hatte sich Heinz Höher gedacht. Den Text auf dem Zettel habe ein Freund für Höher formuliert, schrieb Heinz Formann später. Der Freund war er selbst.
Er stelle sich natürlich nicht wie ein Agitator mit ihm vor das Opel-Werk, entrüstete sich Formann. Also ging Heinz Höher alleine.
Im Stadion am Schloss Strünkede befanden sich die Umkleidekabinen nicht, wie in der Bundesliga üblich, unter der Haupttribüne, sondern in einer Baracke hinter einer der Tortribünen. Die Spieler mussten über einen erdigen, unüberdachten Weg zwischen zwei Tribünen hindurch ins Stadion einlaufen. Der Weg war nicht viel breiter als fünf Meter, die Zuschauer standen rechts und links direkt über ihnen. Jürgen Köper erschien es, als müssten sie direkt durch die Zuschauer hindurch. Gegen Eintracht Frankfurt war das Stadion mit 20000 Zuschauern gut gefüllt. Während die Eintracht durch die schimpfenden und drohenden Bochumer Fans hindurch ins Stadion einlief, glaubte Köper, die Frankfurter, selbst Weltmeister wie Bernd Hölzenbein und Jürgen Grabowski, schrumpfen zu sehen.
Der Bochumer Fanclub, die Erfindung des Pressesprechers Hellmich, hatte ein Eigenleben begonnen. Weil jeder Fan irgendwie andere Ideen hatte, wie man Fan zu sein habe, spaltete sich der Fanclub in zwölf verschiedene Fanklubs auf. Auf Zeitungsfotos aus England war zu erkennen, dass echte Fans die Vereinsfarben trugen. Also ließen sich die Fans von ihren Müttern blau-weiße Schals stricken. Sie kauften sich Vereinswappen zum Aufnähen, eines der wenigen käuflichen Vereinsinsignien, und ließen sie von ihren Omas auf Jeansjacken anbringen. Das hatten sie sich bei den Rockern abgeschaut. Im Stadion klatschten sie über dem Kopf im Rhythmus ihrer Gesänge. Vor der Brust war kein Platz zum Klatschen, sie standen so eng. Wem diese Treuebekundungen nicht reichten, ging in den Fanklub Blauweiß. Die Blauweißen verprügelten auch gegnerische Fans.
Nach neun Minuten brachte Mittelstürmer Jupp Kaczor den VfL gegen eingeschüchterte Frankfurter 1:0 in Front.
Etliche Bochumer Spieler juckte es auf der Brust. Von dem schwarzen Stier, der hurtig auf ihre Polyestertrikots aufgeflockt worden war, lösten sich Stofffussel und reizten, gemischt mit dem Schweiß des Spiels, die Haut. In den kurzen Atempausen der Partie kratzten sich die Bochumer wie Affen an der Brust, jedes Spiel dasselbe. Die Idee, Werbung auf den Trikots zu machen, war jung und offensichtlich noch nicht ausgereift.
Der spanische Stier des Brandyfabrikanten Osborne auf den Bochumer Trikots war auch mächtiger, als es die Richtlinien des DFB genehmigten. 14 Zentimeter hohe Werbung war erlaubt, der Stier war fast 20 Zentimeter groß. Aber das würde erst in der Sommerpause korrigiert, wenn sowieso neue Trikots geliefert wurden. Die Idee, Trikots wegzuwerfen, nur weil die Werbung zu groß war, schien absurd.
1973 hatten Eintracht Braunschweigs Präsident Ernst Fricke und sein Männerfreund Günter Mast, der Produzent des Jägermeisterschnaps, den DFB überrumpelt. Das Braunschweiger Trikot zierte nicht mehr der Löwe, das Wappentier des Vereins, sondern ein Hirsch, das Markenzeichen Jägermeisters. Der DFB ließ sich ungern die Regeln seines Spiels von anderen diktieren, aber Rechtsanwälte bescheinigten dem Fußballverband, dass es gegen das Sponsoring keine Handhabe gab. Am 24. März 1973 maß Schiedsrichter Franz Wengenmayer vor der Partie Braunschweig gegen Schalke mit einem Zollstock den Hirsch auf den Braunschweiger Brüsten, ob er auch die 14-Zentimeter-Norm nicht überschritt, und Deutschland hatte wieder eine seiner geliebten moralischen Diskussionen. War Trikotwerbung zeitgemäß, oder war es das Ende des Sports, wenn Fußballer als Litfaßsäulen missbraucht wurden?
Drei Jahre später trug nicht einmal die Hälfte der Bundesligisten Trikotwerbung. Die meisten Firmen hielten den Werbeeffekt für gering. Würden die gegnerischen Fans nicht VW kaufen, wenn Schalke für Opel warb? Zumal die Werbung nur ein regionales Publikum erreichte. Eine seriöse, deutschlandweit gelesene Zeitung wie die FAZ übermalte die Trikotwerbung auf den Fotos in ihrem Blatt mit einem schwarzen Filzstift. Sie als Zeitung warben doch nicht kostenlos für
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