Spieltage
Osborne oder Jägermeister! Auch für die Vereine waren die offerierten Zahlungen kein Grund, aggressiv nach Werbepartnern zu suchen. 100000 Mark überwies Osborne pro Saison an den VfL Bochum, das machte bei einem Jahresbudget von 3,5 Millionen Mark nicht den Unterschied. Dazu – und dies war nicht zu verachten – bekam der VfL einige Kartons Osborne-Brandy gratis geliefert.
Im Stadion am Schloss lauerte der VfL. Er ließ die Frankfurter öfter recht unbedrängt bis ins Mittelfeld vorstoßen und startete dann den gefürchteten Bochumer Überfall. Blitzschnell schossen zwei Bochumer auf den Frankfurter am Ball zu. Seit der Weltmeisterschaft 1974 hatte Heinz Höher die Spielweise verfeinert. Er hatte die niederländische Nationalelf studiert. Ihr Trainer Rinus Michels, der Propagandist des totalen Fußballs mit verteidigenden Stürmern und stürmenden Verteidigern, hatte eine Abseitsfalle installiert. Heinz Höher sah den Niederländern zu, wie sie auf Kommando abrupt nach vorne liefen und oft einen Gegner im Abseits zurückließen. Doch Heinz Höher erkannte in der Abseitsfalle weniger ein Verteidigungsmittel als die perfekte Art, einen Konterangriff zu beginnen: Seine Spieler sollten auf das Kommando »Raus!« nicht einfach aus der Abwehr herausrennen, sondern zwei Mann sollten immer gezielt auf den Gegner mit Ball einstürmen. So nahmen sie ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit den Ball ab und konnten, wenn sie blitzschnell nach vorne passten, den Gegner überrumpeln, ehe der sich auf Abwehr umgestellt hatte.
In der ersten Saison, in der die Bochumer die Abseits-Konter-Falle anwandte, scheiterten sie manchmal am Linienrichter. Er war nicht gewohnt, so schnell zu reagieren, wie sie rausstürmten, und übersah mehr als einmal das Abseits. Mit der Zeit wurde der Überfall das Bochumer Markenzeichen. Sie entwickelten Geheimcodes: Bei einem gegnerischen Einwurf in dessen Spielhälfte gehen wir drauf. Oder immer wenn sie einen Rückpass spielen – sofort drauf.
Gegen Eintracht Frankfurt jedoch trafen sie auf einen Gegner, der mit ähnlicher Schnelligkeit, technisch überlegen, zurückschlug. Zur Halbzeit hatte sich die 1:0-Führung in einen 1:2-Rückstand verwandelt.
Heinz Höher sagte in der Umkleidekabine nichts; jedenfalls nichts, was die Spieler als taktische oder moralische Hilfe wahrnahmen. Diesmal schien sein Schweigen kein Mysterium. Ihr Trainer wurde schlicht von der Situation erdrückt: Wenn sie dieses Spiel verloren, stiegen sie sicher ab.
Kommt, Leute, rief Ata Lameck: So gehen wir nicht unter, wir gehen jetzt raus und treten auf alles drauf, was sich bewegt!
Die Frankfurter sind doch ’ne Gummitruppe!
Gegen die gewinnen wir immer!
Jetzt sind sie dran!
Es gibt im Fußball sagenhafte Spiele, nach denen alle Welt glaubt, der Trainer habe mit seiner Halbzeitansprache die Partie gedreht. Wo er doch in Wirklichkeit gar nichts tat.
Die Frankfurter bekamen keine Zeit mehr, den Ball im Mittelfeld anzunehmen. Jürgen Grabowski und Wolfgang Kraus streckten ihren Fuß aus – da rammten Jupp Tenhagen oder Jürgen Köper ihren Körper schon in sie. Es war Köpers Saison, sechs Mal wählte ihn der Kicker in die Elf des Tages. Jagen, passen, jagen, passen, und von hinten kam schon wieder Lameck angeprescht. Am Ende hatte Bochum 5:3 gewonnen. Präsident Wüst erschien in der Umkleidekabine und sagte ein Wort: Danke!
Sein Kollege Will Naunheim, Präsident vom Bundesligakonkurrenten und Bochumer Nachbarn Rot-Weiss Essen, war erzürnt, als man ihm zutrug, es seien zum Spiel des VfL gegen Frankfurt vor den Opel-Werken Flugzettel verteilt worden, auf denen stand, er, Naunheim, würde sich über einen Bochumer Abstieg freuen. Eine infame Lüge, tobte Naunheim. Wer verbreitete so etwas?
Der Sieg über die Eintracht fühlte sich wie die Rettung an. Es bedurfte aber in den ausstehenden vier Spielen noch mindestens zwei oder drei solcher Rettungsaktionen, um wirklich in Sicherheit zu gelangen. Das nächste Spiel gegen Bayern München verloren sie 0:4. Zwei Tage später flog Heinz Höher mit seiner Elf an den Strand.
Er hatte bereits im Vorjahr mitten in der Saison eine Ferienwoche mit Training auf Mallorca eingelegt. Diesmal ging es nach Gran Canaria. Er glaubte, die Sonne und das Gemeinschaftsgefühl setzten neue Kräfte frei. Das hatte noch niemand in der Bundesliga geglaubt beziehungsweise versucht.
Wenn du meinst, du musst das machen, sagte Präsident Wüst zu seinem Fußballlehrer, dann mache es. Das würde er zwei
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