Spieltage
Verstand Helmut Schön nicht, dass sich Glanz nicht verwalten ließ? Vor der Weltmeisterschaft 1978 schrieb Heinz Höher dem Bundestrainer unaufgefordert einen dreiseitigen Brief.
»Sehr geehrter Herr Schön!«, begann er. »Ihren verstorbenen Vorgänger Sepp Herberger habe ich verehrt. Für Sie, als Trainertyp, habe ich eigentlich nie geschwärmt.«
Es gelang Heinz Höher nicht immer zu realisieren, wann Direktheit ehrlich und wann sie verletzend war.
Wie die Engländer nach 1966 habe Schön nach dem Gewinn der Europameisterschaft 1972 und der Weltmeisterschaft 1974 zu lange auf die anderen Nationen heruntergeschaut, schrieb er weiter. Dabei habe Schön ignoriert, dass Weltklassespieler wie Beckenbauer, Gerd Müller, Grabowski in die Jahre kamen. Der Bundestrainer solle einsehen, dass er nicht mehr die Ausnahmefiguren habe, mit der seine Elf jede Partie dominieren konnte. Folglich müsse die Nationalelf, um es in einem klaren Vergleich zu sagen, mehr wie Bochum spielen, als weiterhin zu versuchen, das romantische Ideal der frühen Siebziger zu sein. »Da wundere ich mich, daß Sie das letzte Vorbereitungsspiel in Schweden mit einer Mannschaft bestreiten, in der ein Verhältnis zwischen zweikampfstarken und zweikampfschwachen Spielern von 5:5 besteht.« Statt ein ultraoffensives Mittelfeld mit Hölzenbein, Hansi Müller und Rummenigge aufzubieten, sollte Schön einem Spielmacher und zwei Stürmern besser durch drei bissige Kraftbündel im Mittelfeld wie Bernard Dietz, Erich Beer und Rolf Rüssmann den Rücken freihalten. »Noch ein Wort zu den Stürmern Abramczik und Fischer. Ich war überrascht, wie lange Sie sich das beifallsheischende Spiel der Schalker kommentarlos angesehen haben. Wenn ich lese oder höre, daß Spieler die Beherrschung von Flanke und Fallrückzieher tausendmal geübt haben, obwohl diese Situation nur in jedem zweiten oder dritten Spiel einmal vorkommt, dann frage ich mich, wo Sie die Zeit hernehmen, Dinge zu trainieren, die in jedem Spiel 30- oder 50-mal vorkommen.«
Helmut Schön, der zuvor häufiger Briefe mit »Lieber Heinz« an Höher gerichtet hatte, antwortete diesmal gar nicht. Heinz Höher betrachtete die Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien im Gefühl, er habe es kommen gesehen. Deutschland schied in der Zwischenrunde mit einem 2:3 gegen Österreich aus.
Sonntags kaufte sich Heinz Höher an der Trinkhalle von Paul Kortmann am Freigrafendamm die Welt am Sonntag. Als einer der Ersten in Bochum hatte Kortmann in den Siebzigern erkannt, dass eine Trinkhalle ein Kaufhaus sein konnte. Bei ihm gab es alles, Likör, Süßigkeiten, Zeitschriften, Gartenhandschuhe. Heinz Höher lernte, an einem Sonntag im Februar 1979, aus der Welt am Sonntag, dass der VfL Bochum vor der Verpflichtung eines neuen Trainers stehe.
Wenn die Welt das schrieb, musste da etwas dran sein, dachte sich Heinz Höher.
Helmuth Johannsen, der Eintracht Braunschweig 1967 zur verblüffendsten Meisterschaft der Bundesligageschichte geführt hatte, sei der Auserwählte.
Viele, vermutlich die meisten Trainer, hätten im nächsten Gespräch mit dem Präsidenten versucht herauszufinden, was an der Geschichte dran sei. Heinz Höher fuhr zu Ottokar Wüst und sagte ihm, er wolle, nach sieben Jahren, Bochum zum Saisonende verlassen.
So würde er, falls er wirklich gehen musste, schon einmal aus freien Stücken gehen und nicht entlassen werden. Dabei war es ihm mit dem Abschied durchaus ernst, er fühlte, sein Wirken hatte sich abgenutzt, es wurde zu viel über ihn geredet, obwohl der VfL ordentlich dastand. Aber hoffte er nicht gleichzeitig auch, dass ihn Wüst zum dritten Mal von einem Rücktritt abhalten würde?
Ottokar Wüst bat ihn in die Kleiderkammer. In dem Herrenkonfektionsgeschäft waren Hüte mit feinem Seidenband ausgestellt, wie sie außer Wüst selbst kaum noch jemand trug. Sie redeten über eine Stunde lang. Dann sagte Ottokar Wüst: »Man kann mit der schönsten und charmantesten Frau verheiratet sein – nach sieben Jahren gibt es immer Dinge, die einem nicht gefallen. Dann scheiden wir nun ohne Krach und Streit.«
Länger hatte nur ein Trainer bei einem Bundesligaverein gewirkt, Hennes Weisweiler in Mönchengladbach von 1964 bis 1975. Und nun ging alles unaufgeregt, leidenschaftslos, so lapidar zu Ende. Manni Jüttner von der Bild- Zeitung rief die Spieler an. »Es musste sich ja mal was ändern«, sagte Dieter Bast. »Höher hat mich entdeckt. Aber die Dankbarkeit kann nicht jahrelang dauern«, sagte
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