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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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Moment lang ihr eigenes Gesicht in der spiegelnden Scheibe vor dunklem Hintergrund. Sah Alev, ihr gegenüber, am anderen Ende der Verbindung. Der Zug ruckte an.
    Nächtliche Telefonate Zwei
    W ährend des folgenden Schweigens vergaß Ada fast, dass sie sich soeben noch unterhalten hatten. Ähnlich wie Steine im Wasser hatten die Worte nur für Sekunden einen Abdruck in der kalten Luft hinterlassen, hatten ringförmige Schallwellen um sich herum verbreitet und waren gleich darauf für immer verschwunden. Die Leitung lag wie tot. Kein Atemzug war zu hören.
    »Bist du noch dran?«
    »Ja«, sagte Alev, sehr dicht an ihrem Ohr.
    »Was gibt's noch?«
    »Ich muss dir was sagen. Ich bin fertig.«
    »Fertig? Mit den Hausaufgaben für morgen? Mit der letzten Zigarette? Mit den Nerven?«
    Man muss nicht viel von einem Menschen wissen, um ihn zu durchschauen. Schon ein paar Tage konzentrierter Beobachtung genügen, um die Vorlieben und Abneigungen, Gewohnheiten und Empfindlichkeiten, Stimmtonarten und Farbschemata der Haut zu kennen, die sich um die Standarte eines Personennamens versammeln und miteinander ein Wesen formen, das >Mensch< genannt wird, so wie große Mengen von Fischen >Schwarm< heißen. Ada wusste genug vom Alev-Schwarm, um vorhersagen zu können, dass er jetzt auspacken wollte. Sie merkte es an der miserablen Qualität seiner Einleitung: Ich bin fertig. Er wollte gefragt werden.
    »Oder meinst du: Fertig mit deinem Plan?«
    »Es ist ein bisschen schwer zu erklären«, sagte er. »Deshalb würde ich mein Anliegen gern in möglichst einfacher Form präsentieren, auf die Gefahr hin, dass es primitiv klingt, vielleicht gar obszön.« »Nur zu.«
    Ada hörte, wie er Mund und Telefon mit den Händen abschirmte, um wirklich nur zu ihr zu sprechen: »Du vögelst Smutek«, sagte er, »ich mach Photos, und dann haben wir ihn in der Hand.«
    Ada verkniff sich ein >Wie bittec, sparte sich das Lachen und auch die Frage, ob er im Ernst spreche. Überflüssig, sich einzureden, er mache Witze. Sie bereiteten sich beide seit Wochen auf diesen Augenblick vor, und es war von Anfang an klar gewesen, dass Alev ihr nichts Harmloses oder Gewöhnliches antragen würde. Jetzt galt es auf eine Weise zu reagieren, die sich nahtlos in ihren Diskurs fügte und nicht jedes bislang zwischen ihnen gesprochene Wort Lügen strafte.
    Alev war aufgeregt und deutete ihr Zögern falsch.
    »Du musst es so sehen: Es ist meine Schuld, dass wir nicht längst miteinander geschlafen haben. Wenn du es in meiner Gegenwart mit einem anderen Mann tust, ist das die B-Variante von etwas, das ohnehin eingetreten wäre.«
    »Was soll das bringen?«, fragte Ada.
    »Würdest du es tun?«, fragte er zurück.
    »Ich denke, es würde mir nicht allzu viel ausmachen.«
    Dieser Satz passte hervorragend zur Alev-Ada-Attitüde, und Ada war sicher, dass er spätestens ab dem nächsten Morgen auch der Wahrheit entsprechen würde. Im Moment griff sie ins Leere auf der Suche nach dem Knopf für die richtige Geisteshaltung.
    »Ich hatte mir sehr gewünscht, dass du das sagst!« Alev jubelte wie ein Kind, das ein neues Spielzeug erhalten hat und es eine Weile ans Herz drückt, bevor es am Abend temperaturlos bei den anderen liegt.
    »Du hast meine Frage nicht beantwortet«, sagte Ada.
    »Die Frage nach dem Warum?« »Nein. Das war vorhin. Jetzt meine ich die Frage nach dem Wozu.«
    Alev seufzte wie ein Lehrer, der einsehen muss, dass sein Schüler ihm über den Kopf wächst.
    »Ich hatte gehofft, du könnest mir mehr darüber erzählen.«
    »Du heckst einen Plan aus und erwartest, dass ich den Zweck dazu liefere?«
    »Ada-Kleinchen, so plausibel dieser Einwand aus dem Mund jedes anderen klingen würde - in deinem Fall kann ich nur sagen: Stell dich nicht dumm. Du hängst genauso drin wie ich.«
    »Nichts gegen pythische Andeutungen, aber wir kämen schneller voran, wenn du dich darauf beschränken könntest, den Klappentext vorzulesen.«
    »Seit wir uns kennen, reden wir mehr oder weniger offen über dieselbe Sache. Nun sieh dir die Fakten an. Da ist dein immenses Lauftalent. Da ist der polnische Sportlehrer Smutek mit seinem tölpelhaften Ehrgeiz und der schönen, halb verrückten Frau. Die Dahlemer Rettungsaktion. Deine wahrscheinlich filmreife Ohnmacht und die Wiedererweckungsszene, nackt im Bade. Ada die Schweigerin, Ada die Läuferin, Ada die Retterin.«
    »Ada die Schnelle.«
    »Ada die Schnelle, Ada das Schulpolitikum. Weiße und schwarze Ritter besteigen die Pferde. Und

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