Spieltrieb: Roman
schließlich, nicht wahr ...«, wieder klickte hektisch sein Feuerzeug, »... geschieht all das in Gegenwart eines Showmasters im Spiel der Schicksale.«
Ada strampelte die Bettdecke vom Körper, mit einem Mal war ihr warm geworden. Das gemeinsame sophistische Sprechen hatte den unschätzbaren Vorteil, dass schnell unerheblich wurde, wovon es handelte.
»Wie könnte ich da nicht eingreifen wollen? Um deine Frage präzise zu beantworten: Es geht darum, den Ereignissen in ihre Schnürschuhe hineinzuhelfen, damit sie laufen können. Wenn du eine bessere Antwort auf die Frage kennst, wozu ein Schachspiel stattfindet und seit Tausenden von Jahren überall auf dem Planeten wieder und wieder vollzogen wird - dann gib sie dir selbst. Und teil sie mir bei Gelegenheit mit.«
»Ein Spiel«, sagte Ada, »bezweckt den eigenen Fortgang. Das trifft nicht notwendig auf die Spieler zu. Ich will eine Selbstauskunft.«
»Du bist streng.«
»Einer muss es sein. Was willst du von Smutek? Was bringt die Erpressung?«
»Macht. Neue Entfaltungsmöglichkeiten für alle Beteiligten. Teuflisches Vergnügen. Vielleicht Geld. Vor allem aber: Befriedigung des Spieltriebs.«
»Und ein paar anderer Triebe?«
»Werd nicht plump. Mit Voyeurismus habe ich nichts am Hut. Ich gehorche dem Diktat der Gegebenheiten. Wenn du die Entwicklung der letzten Monate betrachtest, wirst du erkennen, dass sie keilförmig zuläuft wie ...«, er suchte nach Worten und klapperte mit dem Aschenbecher, »... wie ein Keil. An der Spitze liegt ein Nadelöhr. Wir sind verpflichtet hindurchzugehen. Der Sache nach hätte es auch etwas anderes sein können.«
»Es ist gut«, sagte Ada beschwichtigend. »Ich werde darüber nachdenken.«
»Aber nicht zu lang. Wir sollten schnell ein paar hymenale Vorbereitungen in Erwägung ziehen.«
»Weshalb so eilig?«
»Weil du in vier Monaten sechzehn wirst. Jeder Mensch kennt ein paar Dinge auswendig. Bei mir sind es Schillers Glocke, Ovids Metamorphosen und seit neuestem Paragraph 174, Absatz 1, Nr. 1 des Strafgesetzbuches. Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter sechzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, vornimmt oder an sich von dem Schutzbefohlenen vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft.«
Erst diese formelhaften Wendungen zerrissen den Schleier lyrischer Logismen und gaben den Blick frei auf weiße Rücken, verschwitztes Haar, maschinenhafte Bewegungen. Natürlich lag Smutek oben. Nach einer Schrecksekunde, die mehr der Ungewohntheit dieser Vorstellung geschuldet war als einem tief empfundenen Widerwillen, musste Ada lächeln. Es war nichts dabei. Auch hierbei war nichts. Es folgte eine stille, zutiefst friedliche Sekunde, in der sie ganz in sich selbst versunken lag. Solange Alevs Prophezeiungen in Erfüllung gingen, musste Ada nichts weiter tun, als den Dingen ihren Lauf zu lassen. Solange die Dinge auf eine Katastrophe zuzuschreiten schienen, war die Welt im Gleichgewicht. Nichts ist stabiler als die Fahrt in den Abgrund. Man konnte sich ganz und gar entspannen.
»Smutek ist kein Mann, dem es Spaß macht, ein Mädchen zu entjungfern«, sagte Alev am anderen Ende der Leitung.
»Es würde ihn erschrecken. Panikreaktionen kann das Gefangenendilemma nicht gebrauchen.«
»Du setzt auf Kooperation? Dann planst du eine iterative Folge.« Ada hörte ihn lächeln, obwohl Lächeln nach landläufiger Auffassung kein Geräusch verursacht. »Eine andere Frage. Ist das Gefangenendilemma nicht ein Zwei-Personen-Spiel?«
»Luzid. Wir auf der einen, Smutek auf der anderen Seite.«
»Mir kommt es vor, als wären in dieser Konstellation Smutek und ich die Gefangenen, du hingegen der Richter.«
Mit der Antwort zögerte er, dann kam sie in Form einer Gegenfrage heraus: »Wäre das schlimm?«
Darauf wusste Ada nichts zu sagen. Ihr Körper war ausgekühlt, sie belud ihn von neuem mit der Bettdecke. Langsam wurde sie müde, die Gedanken nutzten den Moment, rissen sich los und gingen eigene Wege. Sie sah Smutek und sich selbst, ein im Passgang trabendes Doppelwesen. Sie sah Odetta, an der Alev hymenale Maßnahmen übte. Sie sah die Mutter und den Brigadegeneral, den sie in der Phantasie in ein Stück verwesenden Fleischs verwandelt hatte. Sie dachte an die Schnelligkeit. Alev verschwand spurlos aus dem Telefongerät, als hätte er niemals flüsternd darin gesessen.
Kaum dass die Verbindung unterbrochen war, klingelte es erneut.
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