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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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Diesmal hatte Ada den Finger innerhalb einer Bruchteilssekunde auf der richtigen Taste.
    »Es ist verdammt spät.«
    »Ich weiß, Ada«, sagte Smutek, »es tut mir leid.«
    »Das ist nicht Ihr Ernst. Hat man den Teufel genannt, kommt er gerannt.«
    »Wie meinst du das?«
    »Gerade haben wir über Sie gesprochen.«
    »Du und Alev?«
    »Wir waren dabei, einen Plan für den natürlichen Fortgang der Dinge zu entwickeln.«
    »Aus einem ähnlichen Grund rufe ich an. Bei dir war die ganze Zeit belegt, da dachte ich, du bist noch wach. Ich wollte .« Er stockte und klang müde, so müde und verwirrt, als wüsste er kaum, mit wem er sprach.
    »Sie wollten mir mitteilen, dass Sie meine Schnelligkeit lieben?«
    »Was? Ach so.« Er lachte, schon etwas mehr bei sich selbst.
    »Natürlich liebe ich deine Schnelligkeit. In ein paar Monaten fahren wir zur Meisterschaft und zeigen es allen.«
    »Wenn Alev Recht behält, werden Sie für diesen Wunsch in Kürze teuer zu bezahlen haben.« »Auch darüber wollte ich reden. Weißt du Bescheid über den Verlauf der Konferenz?«
    »Klar.«
    »Die liebe Odetta. Das dachte ich mir. Seitdem denke ich darüber nach, dass wir in Zukunft nicht mehr zusammen laufen sollten. Du kannst am Training teilnehmen wie die anderen. Aber wir sollten nicht. Du weißt schon.«
    »Ich laufe ohnehin. Ob Sie dabei sind oder nicht, macht einen geringfügigen Unterschied.«
    Die Antwort war rüde und doch die einzig richtige, um Smu-tek zu erleichtern. Er klang befreit.
    »Ich bin froh, dass du es so siehst. Ich hatte kein Recht, dich in meine persönlichen Angelegenheiten hineinzuziehen.«
    »Es hat mir nichts ausgemacht.«
    »Weiß ich. Dir macht nichts etwas aus.«
    »Egal, was in Zukunft passiert - merken Sie sich eins: Es wird mir nichts ausmachen. Es ist gut möglich, dass Sie das zwischendurch vergessen werden.«
    »Du bist eine große Dulderin. Wahrscheinlich bist du ein Kind deiner Zeit und deines Landes.«
    »Ich bin schnell.«
    Er lachte erneut, ungeniert und aus vollem Hals, so dass Ada vermutete, Frau Smutek liege in pharmazeutischem Schlaf, unfähig, sich über das nächtliche Telefonat ihres Mannes zu wundern. Bei genauem Hinhören war ein leises Quietschen zu vernehmen, das von Smuteks Zeigefinger stammte, der, beim Telefonieren selbständig geworden, etwas auf ein beschlagenes Fenster malte. Zu gern hätte Ada gewusst, was er dort schrieb. Aber er hatte aufgelegt, bevor sie ihn fragen konnte. Ada schleuderte das Telefon von sich, als hätte sie sich daran verbrannt, legte den Kopf aufs Kissen und glaubte, nicht einschlafen zu können. Im nächsten Moment aber war sie fort, ausgeschaltet wie eine Nachttischlampe, unerreichbar für sich selbst, unerreichbar für uns.
    Adas Entjungferung
    B ei der kurzen Vorbesprechung gab Ada zu bedenken, dass ihre Unerfahrenheit in geschlechtlichen Dingen ein Risiko darstelle, das zum Schutz des ganzen Unterfangens durch ein paar praktische Einweisungen minimiert werden sollte. Ob es nicht am klügsten sei, das Nützliche mit dem genauso Nützlichen zu verbinden und die geplante Entjungferung als Generalprobe zu gestalten?
    Alev erwiderte, dass man einen Taubstummen nicht um Sprachunterricht bitten dürfe und sie deshalb auf die Fähigkeiten der Instinkte zu vertrauen habe. Die Kunst der Arterhaltung sei allem lebend Stofflichen mitgegeben, und da auch Ada ein lebend Stoffliches verkörpere, werde sie im Ernstfall wissen, wie man das mache. Allerdings sei er auch ohne weiteres bereit, ihr einen erfahrenen Deckhengst zwecks Defloration und Generalprobe zu organisieren, Bastian zum Beispiel empfehle sich in jeder Hinsicht. Ob Ada das wünsche?
    Sie wollte keinen Deckhengst, sie wollte Alev und hatte sich für Sekunden den konventionellen Wunsch erlaubt, als Einziges unter allen Mädchen seine Körpermitte zum Leben erwecken zu können. Verlegen rollte sie mit der Stiefelsohle ein Steinchen auf dem Schulhofasphalt hin und her.
    Weil man sich in der Mitte eines Präsentiertellers am ungestörtesten unterhalten kann, standen sie wie zwei einsame Pfähle nicht weit von der Stelle, an der Ada und Rocket vor neun Monaten über Olafs Entjungferung beraten hatten. Der Stein, mit dem Adas Stiefel spielte, gehörte zu den bunten Himmel-und-Hölle-Feldern, deren Kreidelinien sie umgaben. Aus irgendeinem Grund waren beide verstimmt. Sie einigten sich auf Sonntag zwischen zwanzig und zweiundzwanzig Uhr. Die Märztage machten noch immer früh Feierabend und nahmen gegen neunzehn

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