Spieltrieb: Roman
Uhr jene abnehmbaren Teile der Persönlichkeit mit sich, die einem bei Tag nur im Weg standen. Falls noch Reste von Skrupeln bestanden, so jedenfalls nicht nach Einbruch der Dunkelheit. Außerdem saßen die Erzieher am Sonntagabend für zwei Stunden vor dem Tatort zusammen und würden nicht unangemeldet auf ein Schwätzchen oder ein paar inquisitorische Fragen vorbeischauen.
Nachdem das geklärt war, wandten Ada und Alev sich um, ließen einander stehen und strebten entgegengesetzten Enden des Schulhofs zu. Sie warfen der tief hängenden Wolkendecke wütende Blicke zu, weil sie sich nicht aufgetan hatte, um einen Ruben'schen Lichtkegel herauszulassen und ihre Häupter während der Unterredung mit Strahlenkränzen zu krönen. Der ganzen Angelegenheit wäre ein bisschen himmlischer Glanz gut bekommen. Manchmal war schwer zu ertragen, wie gleichgültig die Erdkugel sich gegenüber allen menschlichen Anstrengungen verhielt.
Der Sonntagabend wartete immerhin mit einem Gewitter auf. Es hatte die Muskeln spielen lassen, ein paar fette Regentropfen als Warnung gesandt und sich nach diesem Vorstoß mit Gegroll und Getöse Richtung Köln zurückgezogen. Die Sonntagsbevölkerung verließ ihre Verstecke unter Brücken und in Hauseingängen, streckte Handteller in die Luft und eilte, allein oder in Gruppen, nach unterbrochenem Spaziergang über nasse Straßen nach Hause. Erste leuchtende Rechtecke waren der Stadt wie Etiketten aufgeklebt. Der Lange Eugen, als Hochhaus emeritiert, stand monumentenschwarz gegen die Dämmerung, zum Zwerg gemacht vom neuen, doppelt so hohen Post-Tower, an dessen langen Flanken bunte Lichtkunst hinauf- und hinunterrannte.
Unbeeindruckt vom drohenden Regen, hatte Ada ihre Runden auf dem Sportplatz gezogen und war zum Duschen ins Internat gekommen. Eigentlich hatte sie beschlossen, sich nicht extra sorgfältig zu waschen, als stünde ein Besuch beim Gynäkologen bevor. Nun aber rieb sie sich am ganzen Körper mit Alevs Duschgel ein, massierte seinen Geruch mit den Fingerkuppen in alle Poren und hörte erst auf, als die halbe Flasche verbraucht war und die ganze Großraumdusche nach ihm roch. Sie hatte das Licht nicht angeschaltet. Im warmen, feuchten Dunkel konnte sie Alev für eine Weile bewohnen, als hätte sie unter seiner Kleidung Zuflucht gefunden, ein kleiner Parasit, Mieter einer Achselhöhle. Der Duft stand kurz davor, sich in Gestank zu verwandeln. Schon wieder floss Unmut wie eine heiße Flüssigkeit in ihre Bauchhöhle. Sie trocknete sich ab, verzichtete auf Unterwäsche und zog Pullover und Hose über, um den Internatsflur überqueren zu können.
Toni für eine Weile auszuquartieren war nicht schwieriger, als einen Hund aus dem Zimmer zu schicken. Als Alev mit ausgestrecktem Arm auf die Tür zeigte, nahm er wortlos seine Jacke von der Stuhllehne und verschwand. Kaum dass er fort war, setzte Ada sich auf die Bettkante, öffnete Knopf und Reißverschluss ihrer Jeans und hob den Hintern an, um sich die Hose über die Hüften zu streifen und in einem Knäuel auf den Boden zu werfen.
Alev lehnte am Schreibtisch und schaute die ganze Zeit hinaus, obwohl es nichts zu sehen gab. Die Fensterscheibe baute eine kastenförmige Spiegelung des Zimmers hinaus ins sechste Stockwerk der Nacht. Etwas war nicht in Ordnung. Die Stimmung war verdorben, als wäre irgendwo ein geruchloses Gas ausgetreten, das die Luft ungenießbar machte. Auf dem Tisch stand ein Dildo, schwarz, dick und zwanzig Zentimeter lang, und wirkte neben einem frischen Päckchen Taschentücher und dem Cremetopf wie bereitgelegtes Handwerkszeug. Alev ärgerte sich über die Frage, ob der Dildo unbenutzt sei, über Adas Misstrauen gegenüber dem Inhalt des Cremetopfs und erst recht über ihren Spott wegen der unschuldigen Packung Tempotaschentücher. Nein, er rechnete nicht damit, dass der Dildo ejakulieren werde. Er glaubte ebenso wenig, Ada könne zu bluten anfangen wie ein Unfallopfer, zumal nicht auszuschließen sei, dass irgendein Frauenarzt auf der Suche nach Zysten die Defloration mit seinem Ultraschallstab bereits erledigt hatte. Selbstverständlich würden sie mit einem angebrochenen Päckchen Taschentücher ebenso zurechtkommen. Es war nur so, dass Alev sich Mühe gab. Obwohl er wusste, was gute Dildos kosteten, war er extra im Sexshop gewesen, hatte seinen Personalausweis präsentiert und das unauffälligste Modell gewählt, weil er Ada nicht durch noppenbesetztes Hundespielzeug und schon gar nicht durch ein Stück Gemüse
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