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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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Bett. Damit hatte sie ihre ganze Einrichtung, ihr ganzes Wohnen aufgesammelt und stand abmarschbereit. Odetta saß vornübergebeugt und hatte das Kinn in eine Hand gestützt, dass sich die Haare auf der Tischplatte zu blonden Nestern rollten. Alev starrte das Fenster an, als ließe Adas Antwort sich aus den Sternen herauszulesen. Ada sagte nichts und ging.
    Sie lief dem dicken Toni in die Arme, der unschlüssig auf dem Gang herumstand. Nein, es ist kein guter Zeitpunkt, um in dein Zimmer zurückzukehren. Gehen wir draußen eine rauchen. Hast du deine Jacke? Dann leih dir eine von Grüttel.
    Nach drei Zigaretten waren Finger und Zehen steif gefroren, und die Hintern schmerzten von der schmalen Rückenlehne der Parkbank, auf der sie hockten. Toni war damit beschäftigt, seine ebenso kurze wie traurige Lebensgeschichte zu erzählen. Einstweilen gelangte Ada zu dem Schluss, dass Alevs letzter Satz aufgrund des Komparativs grammatikalisch voraussetzte, dass er etwas von ihr wollte. Mehr nicht, also immerhin etwas, was auch immer das war. Toni endete mit dem Geständnis, in Odetta verliebt zu sein, und bedauerte die Tatsache, dass alle Mädchen der Schule auf Alev standen.
    »Ich nicht«, sagte Ada.
    »Bei dir bin ich nicht sicher, ob du ein Mädchen bist.«
    »Okay. Gute Nacht, Toni.«
    Sie machte einen Umweg über die Rheinpromenade. Glatt war der Himmel aufgespannt, ein runder Mond setzte die Lichterreihe der Laternen über dem Wasser fort, Zebrastreifen aus Licht musterten dem Fluss den Rücken. Schwarz lag das Siebengebirge in stadtnahem Schlaf. Ada nahm das Telefon aus der Tasche und schrieb eine Kurznachricht an Smutek.
    Gewonnen.
    So schnell piepste Antwort, als hätte er auf eine Botschaft von ihr gewartet.
    Es tut mir leid Ada ich weiß nicht warum aber es tut mir leid als wäre ich schuld an allem verzeih.
    Sie wusste nicht genau, was er meinte, aber es war schön, verbotene Nachrichten zu erhalten. Für ein paar Sekunden existierte eine Verschwörung, und Verschwörung bedeutete Leben und Glück. Ada verließ den Fluss und begann zu rennen, nicht schnell, mehr wie im Spiel, lief armeschlenkernd wie ein kleines Mädchen. Nach Hause.
    Nächtliche Telefonate Eins
    E ine ungewöhnlich hohe Menge Adrenalin hatte Ameisenstraßen durch ihren Körper gelegt und hielt sie vom Schlafen ab. Seit zwei Stunden rang sie mit dem Entschluss, sich aus dem Haus zu schleichen und ein paar Kilometer durchs Viertel zu rennen, um ihr chemisches Gleichgewicht wiederherzustellen. Stattdessen tat sie gar nichts, und die Zeit verstrich. Das Klingeln des Handys ließ sie auffahren, der Adrenalinspiegel schlug für Sekunden über ihr zusammen, dann fand sie die richtige Taste.
    »Da bist du ja«, sagte Alev, als hätte sie ihn angerufen und nicht umgekehrt.
    »Ist Odetta weg?«
    »Die sitzt noch hier.«
    »Hattet ihr Sex?«
    »Hab ich dir schon erzählt, dass einer meiner Körperteile in permanenter Lähmung der Gravitation ausgeliefert ist?«
    »Das war nicht meine Frage. Sie lautet: Hattet ihr Sex? Gegenfragen, mein Herz, passen schlecht zu deinem Stil.«
    Beim Lachen hielt er das Telefon ein Stück von sich weg. Ada wusste, dass er nicht gern telefonierte. Es beraubte ihn seiner Grimassen und Gesten und der Wirkung ausgesendeter Botenstoffe. Das Telefon schmälerte seine Macht über Menschen.
    »You never expect the Spanish inquisition!«, rief er. »Kann sein, dass ich sie ein bisschen gefingert habe.«
    »Wo ist Toni?«
    »Sitzt auf seinem Bett und sagt nicht viel.«
    »Du hast ihn zuschauen lassen?«
    »Sagen wir so: Er hat zugeschaut.« »Wusstest du, dass er in Odetta verliebt ist? Wusstest du das?«
    »Wahrscheinlich. Sind wir jetzt fertig damit? Ich rufe aus einem anderen Grund an.«
    »Warte mal.« Ada lauschte in die Dunkelheit. Sie hatte die Nachttischlampe nicht eingeschaltet. Kein Vogel piepste im Schlaf, selbst die Güterzüge auf der anderen Flussseite schwiegen. Es herrschte eine unnatürliche, künstliche Stille, wie sie von jemandem erzeugt wird, der sich bemüht, kein Geräusch zu verursachen.
    »Da muss ich mal im Regal schauen, wo ich das Buch habe«, sagte Ada, raschelte mit dem Bettzeug und stand auf.
    »Was für ein Buch?«, fragte Alev. »Steht unsere Geschichte bereits irgendwo geschrieben?«
    »Warte einfach mal kurz.« Sie ging zum Regal und daran vorbei, blieb einen Moment stehen und riss die Zimmertür auf.
    »Geh wieder ins Bett«, sagte sie.
    Die Mutter stand so dicht vor der Tür, dass sie einander aus

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