Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
Vom Netzwerk:
ziehenden Wolken Ausschau. Es gab keine ziehenden Wolken. Der Hochsommer lag im Sterben, der Himmel war blass wie von einer Kreislaufstörung, ein ungesunder Wind rieselte in kleinen Stößen durch das Gebüsch am Straßenrand.
    »Stell dir ein leeres Zimmer vor«, sagte sie schließlich.
    »Möbliert, offensichtlich benutzt, auf dem Nachttisch drei aufgeschlagene Bücher, ein abgegessener Teller neben der Computertastatur. Der Schreibtisch am Fenster, das Fenster gekippt. Getragene Hemden über der Sessellehne. Vielleicht, in Extremfällen, läuft ein Radio oder Fernsehgerät. Die Tür steht einen Spalt offen. Du schaust hinein und versuchst dir vorzustellen, wer hier lebt. Einiges wirst du schnell herausfinden. Das Geschlecht der Person, ihr ungefähres Alter, möglicherweise den Beruf. Manches ist schwer zu erkennen, anderes überhaupt nicht. - DAS ...«, Ada hob die Stimme wie ein Prediger, »nämlich der Blick in dieses Zimmer, das ist die Frage nach dem Bewusstsein.«
    Wie Franziskus hatte sie hinauf zu den Vögeln gesprochen, die im diesigen Hellblau kreisten und viel zu weit weg waren, um ihr zuzuhören. Als sie den Kopf wieder senkte, blieb ihr Blick an Olafs Stirn hängen wie ein altes, schlecht haftendes Stück Klebeband.
    »Okay«, sagte er. »Tschüs, Ada.«
    Und ließ sie stehen. Trottete mit schlaksigem Gang, der immer noch dem kleinen Jungen gehörte, der vom Fußballspielen nach Hause kommt, auf gewohntem Zick-Zack-Kurs zwischen den Autos Richtung Fahrradkeller, und die Bassgitarre saß ihm wie ein schwarzer Dämon im Rücken.
    Es war zu heiß zum Laufen, viel zu heiß. Schweiß trat bei der kleinsten Bewegung aus den Poren an Rücken und Stirn. Während Ada und der Brigadegeneral auf der Adria kreuzten, hatten deutsche Zeitungen wochenlang die Dürre besungen, das Verderben der Ernte und Vertrocknen der Wälder, das Schreien der Kinder und Sterben der Alten. Schließlich waren sie des Wehklagens müde geworden; möglicherweise war es auch dafür zu heiß.
    In Kroatien hatte niemand geklagt. Dafür brannten die Küsten. Schwarze Wolken verdunkelten gleißende Nachmittage und imitierten ein nahes Gewitter, von dem keine Rede sein konnte. Offene Flugzeuge, klein wie Zeichentrickminiaturen in einem Cartoon, stachen zu zweien oder dreien in die giftigen Wände aus Asche und Rauch, entleerten nah überm Boden das Innere ihrer Bäuche direkt in die Flammen und kehrten aufs offene Meer zurück, um beim kurzen Eintauchen die Wassertanks zu füllen. Es waren nur Tropfen auf glühenden Steinen, sie unterbrachen die Linien des kniehohen Feuers nicht, das kilometerlang über die Hänge des Karstgebirges marschierte. Es vergingen zwei Wochen des Segelns, in Takte geschnitten durch kurze Landgänge zum Einkaufen von Milch und Brot; vierzehn Tage, die Ada und der Brigadegeneral schweigend verbrachten, abgesehen von einzelnen Wörtern zur Verständigung, einander zugerufen mit abgewandten Gesichtern, und vierzehn Nächte, in denen sie selbst gefangene Fische auf dem schmalen Achterdeck grillten, Weißwein aus einem Zehnliterkanister tranken und dabei redeten und redeten, als müssten alle verpassten Sätze, nicht formulierten Gedanken, halb vergessenen Begebenheiten und nicht gerissenen Witze des letzten Jahres zusammengetrieben werden wie eine verirrte Rinderherde, die schließlich in großer Stampede in die vorgegebene Richtung braust.
    Dann wollte Ada laufen, und der Brigadegeneral versuchte gar nicht erst, es ihr auszureden. Sie suchten ein Küstenstück, das nicht brannte, und gingen bei Trstenik vor Anker. Ada durchquerte den kleinen Hafen, lief längs der Küste in die Weinberge und zwischen niedrigen Rebstöcken auf felsigen Wegen immer Richtung Südosten, unter einer Mittagssonne, die diesen Namen kaum noch verdiente, die als weißglühender Stein viel Platz auf dem Himmel einnahm und die metallisch glänzende Oberfläche des Meeres, hellhäutige Felsen und schwergrüne Pinienballun-gen mit tausend Zungen beleckte. Nach anderthalb Stunden, als ihr das Blut mit Hämmern gegen die Schädeldecke schlug, drehte sie um und kehrte in leichtem Trab am Rand des Fahrwegs auf der Anhöhe in die Stadt zurück.
    Am Abend war ihr Körper dicht an dicht mit stecknadelkopf-großen Wasserblasen bedeckt, die platzten, wenn sie mit den Fingerspitzen darüber strich, und so sehr nässten, dass Brust, Rücken und Schultern ständig feucht waren, als wäre sie gerade aus der Dusche gestiegen. Die Lymphknoten schwollen, und nach

Weitere Kostenlose Bücher