Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
auch so sein. Eine tote Tochter nutzt ihm nichts. Jetzt fehlt bloß noch die Mutter!
Manuela verstand die Welt nicht mehr. Aber im Grunde war das ohnehin gleichgültig. Es ging schon längst nicht mehr ums Begreifen, nur noch um das Akzeptieren.
Ihre Mutter hatte Andy zur Rede gestellt. Er sollte, wenn er schon partout nicht heiraten wollte, wenigstens die finanzielle Verantwortung für die Kleine übernehmen, die er während der Schwangerschaft vergiftet hatte.
»Dein Papa«, flüsterte Manuela Papillon ins Ohr. »Verantwortung mochte er noch nie.«
Eigentlich hätte sie ihn hassen müssen, doch ihr fehlte die Energie für große Gefühle.
Dass er nicht bezahlen wollte, war eine Sache, eine völlig andere war, was er noch über sie, Manuela, gesagt hatte.
»Dein Andy hat behauptet, er habe dir nur die üblichen Vitamine gegeben. Alle hätten die bekommen. Und wenn eine Hure wie du von irgendeinem ihrer geilen Böcke geschwängert würde, sei es nicht so unvorstellbar, dass dabei ein behindertes Kind herauskäme. Mit ihm wäre dir das nicht passiert.«
Sie hatte das Gesicht ihrer Mutter beobachtet, während sie ihr das erzählte. Zuerst blass, dann, als sie bei Hure angekommen war, krebsrot. Manuela selbst beeindruckten die harten Worte nicht mehr. Sie schienen wie Regentropfen an einem Allwettermantel abzuperlen. Es war, als könne niemand sie noch mit den Spitzen der beleidigenden Worte erreichen.
Nicht, weil es nicht weh tat, sondern weil sie schon tot war.
Und was scherte es eine Leiche, wenn die Lebenden lästerten.
»Wie konntest du nur so dumm sein und diese Pillen schlucken! Du wusstest doch von deiner Schwangerschaft!«, fluchte ihre Mutter beinahe bei jedem Besuch in ihrem Zimmer.
Wie sollte sie ihr das erklären?
Dieses Schwanken zwischen Hoffnung und Gewissheit, die immer neu aufkeimende Vorfreude auf eine glückliche Zukunft zu dritt. Manuela war viel zu müde für alle Versuche, ihrer Mutter begreiflich zu machen, was vor wenigen Monaten in ihr vorgegangen war.
Vor wenigen Monaten!
Manuela kam es vor wie eine Ewigkeit.
Vor wenigen Monaten!, echoten ihre Gedanken, verfingen sich in den drei Worten und quälten sie damit. Zärtlich strich sie mit den Lippen über Papillons weiche warme Stirn.
Keine Zukunft. Für sie beide nicht. Tränen. Schon wieder. Bittere Tränen. Ihre bebenden Lippen fanden Papillons Mund. Schlossen sich auch um ihre Nase. Sperrten das Leben aus.
Wenige Stunden später war Papillon in ihren Armen schon steif.
31
»Gute’ Morge’!«
»Morgen, Michael. Ich soll dich von Albrecht grüßen.«
»Danke. Wie geht es ihm denn?«
»Er ist zu Hause. Aber die Chemotherapie wirkt eben. Das bedeutet Übelkeit, Schwäche – na ja. Er klang nicht gerade dynamisch.«
»Aber man darf ihn anrufen! Das ist doch schon ein Fortschritt. Heute Abend werde ich mich bei ihm melden«, freute sich Wiener und suchte auf seinem Schreibtisch nach seinem Notizbuch. »Sag mal, kann es sein, dass du die Winters falsch verstanden hast? Ich habe mal alles überprüft – und dabei auch das Datum der Beerdigung ihrer Tochter Manuela gefunden. Die war erst vor sechs Wochen.«
»Hm«, überrascht ruckten Nachtigalls Augenbrauen hoch. »Ich dachte, sie sei schon vor Jahren gestorben – die Mutter hat gesagt, es sei schon Ewigkeiten her.«
»Da ist noch was …«, begann Wiener, wurde aber vom Klingeln seines Telefons unterbrochen.
»Michael! Stell dir vor, Kiri ist überfallen worden! In ihrer eigenen Wohnung«, rief Marnie aufgeregt in den Hörer.
»Ist sie verletzt?«, fragte Wiener erschrocken.
»Ja, auch. Ich bin hier bei ihr. Könntest du nicht mal herkommen? Wir machen uns Sorgen um Frau Schybulla.«
Wiener hatte den Lautsprecher eingeschaltet und Nachtigall gab ihm durch ein Zeichen zu verstehen, dass sie vorbeifahren würden.
»Wir sind schon fast auf dem Weg. Aber warum seid ihr um Kiris Mutter besorgt?«
»Weil der Typ gesagt hat, jetzt wolle er sich die Mutter holen. Er dachte doch, Kiri sei ohne Bewusstsein. Und jetzt können wir sie nicht erreichen – es geht immer nur die Mailbox ran.« Schiere Panik ließ Marnies Stimme trudeln.
»Und Kiri?«
»Bekam einen schweren Schlag über den Kopf. Als sie zu sich kam, war sie gefesselt und geknebelt. Eingesperrt. Aber offenbar hat der Typ ihre Fähigkeiten unterschätzt.«
Die junge Fußballerin zitterte. Der grüne Wohnzimmersessel bebte mit. Kiris Zähne schlugen laut gegen den Rand der Teetasse, die sie mit
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