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Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall

Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall

Titel: Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Steinhauer
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lernte schneidern – und staffierte ihren Sohn aus. Roland war ein Anziehpüppchen, das Mutti glücklich machen sollte.«
    »Das hat aber nicht funktioniert«, vermutete Nachtigall.
    »Tut es doch nie – oder?«
    »Wohl nicht. Nein.«
    »Es kam, wie es kommen musste. Das Püppchen wurde älter und entwickelte sich. Weg von der Mama hin zum Sport. Der Junge wurde aufsässig, entzog sich immer mehr dem Einfluss der ratlosen Eltern. Die Freunde, die Roland sich suchte, entsprachen nicht im Geringsten dem, was Renate und Vincent sich für den Jungen gewünscht hätten. In diesem Punkt herrschte zwischen den beiden eine seltene Einigkeit. Der liebe Sohn ließ sich aber nichts mehr vorschreiben. Der Sportbund, der schon seit Jahren das fußballerische Talent förderte, erkannte die Situation und handelte. Roland bekam eine eigene Wohnung, damit der häusliche Unfrieden weder seine sportlichen noch schulischen Leistungen beeinträchtigen konnte. Aber er musste einen Untermieter akzeptieren.«
    »Da muss er aber wirklich ein Ausnahmetalent gewesen sein!«
    »Oh ja. Das war er wirklich! Man setzte hohe Erwartungen in ihn.«
    »Wie alt war er denn, als er auszog?«
    »16. Aber der Untermieter Bernhard Schneider war Mitte 30. Er sollte ein Auge auf das Kind haben, nehme ich an.«
    »Und das ging gut?«, fragte Nachtigall skeptisch.
    »Ja. Es funktionierte überraschend gut. Roland sah in Bernhard einen väterlichen Freund, wenngleich er ihm natürlich nie völlig vertraute. Ihm war schon klar, welche Rolle Bernhard spielen sollte! Roland war ein intelligentes Bürschchen.«
    »Warum wurde dieses Arrangement nicht andersherum getroffen? Roland als Untermieter?«
    Kramer grinste. »Verantwortung. Ich glaube, Roland sollte lernen, sein Leben in Eigenregie zu übernehmen. Bernhard Schneider passte nur auf, dass alles gut ging und sich keine Katastrophen ereigneten. Roland ging einkaufen, musste kochen, seine Wäsche versorgen. Ein Leben weit weg von Mamas Hätschelei.«
    »Er sollte reifen und Karriere machen?«
    »Ja. Der Junge hatte echtes Ballgefühl. Bei ihm sah Fußball immer leicht und spielerisch aus. Ein bisschen so, wie das Jogis Jungs heute draufhaben. Die spielen einen wunderbaren Fußball. Einfach eine Freude, denen zuzusehen. Ein funktionierendes Team. Ist schon seltsam, nicht? Fußball ist der einzige Sport, der es schafft, die ganze Nation in ein Wir-Gefühl zu versetzen, selbst die Omas sitzen vor dem Fernseher und drücken die Daumen. Ist doch Wahnsinn. Und der Roland hat Tore geschossen, Mann! Wie Podolski. Hinterher konnte keiner so genau erklären, wie er den Ball hinter die Linie gezaubert hatte. Doch das Rheuma änderte die Situation von Grund auf.«
    »Roland konnte nicht mehr spielen.«
    »Genau. Starke Schmerzen, geschwollene, steife Gelenke. Aber die Hoffnung war, dass er etwas von dem, was er so gut beherrschte, an andere weitergeben könnte. Er wurde Trainer. Und er bekam eine Aufgabe: Er sollte mithelfen, die DDR-Frauenfußballnationalmannschaft fit zu machen. Er hat sich begeistert in die Arbeit gestürzt.«
    »Wegen des Fußballs – oder wegen der Damen?«
    »Er war bei seinem Verschwinden Mitte 20«, sagte Kramer, als sei das eine Antwort.
    Diesen Augenblick nutzte Philomena für ihre Rückkehr. Unbemerkt vom Hausherrn schlich sie sich ins Wohnzimmer zurück, warf einen raschen Blick auf Nachtigall und schloss ein Auge, sodass es den Anschein hatte, sie blinzle ihm verschwörerisch zu. In ihrem Schnabel trug sie einen Handschuh. Schlaff zeigten die ramponierten Finger in Richtung Boden wie bei der Hand eines Toten.
    »Wenn er so ein toller Spieler war, hatte er doch sicher auch interessante Angebote.« Nachtigall kämpfte den Drang, laut loszulachen, nieder, als er beobachtete, wie der Papagei sich an Kramer heranpirschte.
    »Klar. Um Roland haben sie sich förmlich gerissen!«
    »Auch die aus dem Westen?«, wollte der Hauptkommissar wissen.
    »Bestimmt. Aber der Verband wird wohl kaum bei Roland nachgefragt haben, ob er interessiert war. So knapp konnten die Devisen gar nicht sein, dass so ein Ausnahmespieler verkauft wurde«, behauptete Kramer überzeugt.
    »Und die Post kontrollierte der Untermieter.«
    »Vielleicht. Davon weiß ich nichts«, wiegelte Kramer ab und entdeckte nun auch den Papagei, starrte ihn an und stürzte sich mit einem heiseren Aufschrei auf das unbeeindruckte Tier, um den Handschuh zurückzuerbeuten.
    »Du Biest!«, zischte er liebevoll. »Wie kannst du nur?«
    Philomena

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