Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
sie ab sofort zerstören möchten.«
»Sie haben es also gewusst?«
»Ja. Er konnte nicht widerstehen. Sie haben ihn hemmungslos angemacht – er brauchte ja nur zuzugreifen. Er ist mit jeder, die signalisierte, dass sie wollte, ins Bett gehüpft. Ohne einen Gedanken an seine Familie, ohne Schuldbewusstsein.« In ihrer Stimme schwang so viel Verachtung, dass sie beinahe männlich tief klang.
»Das hat Sie sehr verletzt.«
»Was denken Sie? Ich wollte noch ein paar Jahre durchhalten, der Kinder wegen. So ein Papa ist für kleine Kinder wichtig. Lange hätte ich es aber wohl nicht mehr ertragen.« Ein rasches Blitzen streifte den Hauptkommissar. »Aber das erübrigt sich ja jetzt ohnehin.«
Sie starrten schweigend auf den hellen Kies. Nach einer langen Pause nahm Nachtigall den Gesprächsfaden wieder auf. »Hat Ihr Mann je den Namen Roland Keiser erwähnt?«
Sie brauchte keine Zeit zum Überlegen. »Das war der Typ, der noch knapp vor der Wende abgehauen ist. Ja, von dem hat er manchmal gesprochen.«
»Also waren die beiden befreundet?«
»Nein, nicht wirklich. Sie sind sich mal bei irgendeinem Fest begegnet, wenn ich mich recht erinnere, bei einem gemeinsamen Bekannten. Später hörte Wladimir von der Flucht. Ich glaube, der Name ist nur deshalb haften geblieben. Er hat immer gesagt, es sei schon ein starkes Stück, es sogar mit Krücken in den Westen zu schaffen. Manchmal hat er den Namen bei Google eingeben, um zu sehen, ob es irgendwelche Einträge gibt.«
»Das Verschwinden hat ihn beschäftigt.«
»Muss wohl. Ich kannte den Mann ja nicht. Deshalb fand ich die Sache auch nicht spannend.«
»Kannte Ihr Mann einen Johannes Schaber?«
»Nicht, dass ich wüsste. Vielleicht checken Sie einfach mal seinen Mailaccount?«
Conny saß im Garten.
Nachtigall nahm die friedvolle Szene in sich auf und spürte fast so etwas wie Neid. Er war müde. Um ihn herum gab es im Moment nur Krankheit und Tod. Selbstmitleid drohte sich wie ein bösartiges Geschwür in seinem Inneren auszubreiten. Wenn er nicht dagegen ankämpfte, würde es sein Denken lähmen und diesem eiskalten Mörder in die Hände spielen.
Vorsichtig schob er sich auf einen der Gartenstühle.
Casanova, der den zweiten Stuhl okkupierte, öffnete für einen kurzen Moment ein Auge und auch das nur einen Spaltbreit. Als er bemerkte, dass keine Ruhestörung beabsichtigt war, schloss er es sofort wieder.
Conny schlief, wirkte entspannt und zufrieden.
Auf dem Tisch stand ein Glas Sekt, der anregend perlte, unter einem Schutzgitter wartete ein Teller mit belegten Broten – sicher vor dem Zugriff der ewig hungrigen Katzen. Als er sich ein wenig vorbeugte, erkannte er die dünnen, weißen Kabel über Connys Brust, die in In-Ear-phones endeten, auf dem Bauch lag das Buch, dessen Lektüre wohl nicht spannend genug war, um ein Einschlafen der Leserin zu verhindern. Und die Musik sperrte die Außenwelt komplett aus. Wie wunderbar musste es sein, sich so wegspülen zu lassen? Traumhaft!
Nachtigall, der schon von Berufs wegen an die Endlichkeit aller Dinge glaubte, seufzte leise und hoffte, seine Ehe mit Conny möge dieser Erfahrung trotzen. Wie schön wäre es, gemeinsam und bei bester Gesundheit uralt zu werden. Schuldbewusst dachte er an Sport.
Theorie und Praxis klafften eben mitunter weit auseinander und das Wissen um die Notwendigkeit sorgte nicht automatisch auch für eine Verhaltensänderung.
Und manche Berufe, dachte er trotzig, ließen sich mit Sport einfach nicht harmonisch verbinden. Fahrradkuriere und viele Postzusteller bewegten sich schon während des Jobs, bei ihm war das anders. Sabine, seine kleine Schwester, hatte ihn gerade erst mit den allerneuesten Erkenntnissen zu diesem Thema versorgt. Teufelin! Demnach galt: Drei bis vier Stunden Sport in der Woche waren Pflicht, wobei zwischen den einzelnen Terminen nicht mehr als 72 Stunden vergehen dürfen. Und wie sollte das bei ihm bitte aussehen?
Er konnte doch auf keinen Fall vom Tatort verschwinden mit der Begründung, er schaffe sonst sein Sportintervall nicht. Unwillkürlich musste er schmunzeln.
Dr. März bekäme dann wohl einen Herzinfarkt – das konnte er nicht riskieren.
Domino rekelte sich auf der Terrasse, sprang mit elegantem Schwung auf seinen Schoß und neigte den Kopf direkt vor der Brust ihres Herrchens nach unten, begann zu schnurren.
»Kein Zweifel, was du dir jetzt wünschst«, flüsterte der Ermittler der Katzendame zu und begann sie mit beiden Händen hinter den Ohren
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