Spielzeugsoldaten
diesen und jenen Stellen zog der frostige Wind doch unter ihre Kleider und brannte auf ihrer Haut. Hin und wieder warf Juli einen Blick zur Seite, betrachtete Raku, die es, noch immer oft in ihren eigenen Gedanken versunken, kaum bemerkte. Raku war ruhig geworden und es ging ein ga nz anderes Gefühl von ihr aus. S ie wirkte ge lassen, nicht mehr so gehetzt, fast ein bisschen zufrieden. Nach einem weiteren kurzen Anstieg hatten sie ein Plateau erreicht. In der Ferne vor ihnen die hohen Gipfel des Gebirges von Geison, direkt unter ihnen ein kurzes Tal, ein flacher bewaldeter A bschnitt, bevor es hoch ging in eine atemberaubende Landschaft aus zerklüftetem Gestein und schneebedeckten Felsen. Raku blieb stehen und blickte um sich, als würde sie etwas suchen, dann nahm sie den Rucksack von ihren Schultern und stellte ihn in den Schnee. Sie rückte das schwere, gefleckte Fell um ihre Schultern zurecht und kniete sich hin. Es dauerte nur einen Augenblick dann zog sie ihr Sturmgewehr und die restliche Munition heraus. Juli beobachtete sie entgeistert.
„Was willst du damit? Du hast doch gestern gesagt, dass du es nicht mehr brauchst.“
Raku nickte. „Ja, ganz genau.“
Und im selben Moment nahm sie das Gewehr und die Munition und warf sie mit kräftigem Schwung hinter sich in den Schnee. Vielleicht war das rücksichtslos, sie konnte ja nicht wissen, ob es jemals jemand finden würde, aber sie wusste sonst nicht, was sie tun sollte, denn eines stand fest. Sie konnte nicht schwer bewaffnet die Grenze überschreiten. Sie war ohnehin schon verärgert darüber, dass sie nicht eher daran gedacht hatte. Im Grasland hätte sie es noch vergraben können. Glück war nur, dass es ihr früh genug eingefallen war. Dann schnürte sie den Rucksack wieder zu, nahm ihn auf den Rücken und Juli an die Hand. Sie zog die verdatterte Juli ein paar Meter weiter und blieb dann widerstehen , nur um sie breit anzulächeln.
„Willkommen in Geison!“
Juli konnte nicht anders, als Rakus Lächeln zu erwidern, nicht etwa weil sie sich darüber freute endlich angekommen zu sein, sondern weil dieses Lächeln sie ohne Vorwarnung ohne Rückhalt mitriss. Raku hatte die letzten Tage selten gelächelt und kaum war eines dieser Lächeln so warm und ehrlich gewesen, wie dieses. Sprachlos blickte sie Raku an und bemerkte am üsiert wie sie nervös wurde.
„Du sagst ja gar nichts.“
„Ich bin irritiert “, Juli bra uchte einen Augenblick, um sich zu sammeln, „das war alles? Keine Wachposten? Man kann einfach so üb er die Grenze gehen? Kein Zaun?“
Als Raku bemerkte, dass Juli ins Reden geriet , unterbrach sie sie.
„Juli, auch wenn sie euch in der Schule etwas anderes beibringen, aber Geison ist kein Bauernstaat.“
Sie lächelte, zog Juli an sich heran, die für einen Augenblick glaubte, die plötzliche Nähe würde sie ohnmächtig werden lassen, und deutete in den Himmel.
Ein Grollen kam näher. Fast wie, Juli stutzte, fast wie ein Flugzeug. Das Grolle n wurde tiefer und lauter und nur Sekunden später donnerte ein Jet über ihre Köpfe hinweg. Er war klein und schwarz, flog sehr tief und drehte sogleich wieder ab.
„Geison überwacht seine Grenzen per Satellit. Ein paar hundert Kilometer von hier, hinter dem Gebirge ist ein Luftwaffenstützpunkt. Sobald sie Aktivitäten an den Grenzen bemerken , wird einer von denen “, sie deutete in den Himmel, „losgeschickt, um weitere Informationen zu sammeln. Daher habe ich meine Waffe weggew orfen. So wie wir jetzt sind - zwei Frauen eingehüllt in Felle - sind wir keine Bedrohung und sie werden uns in Ruhe lassen und sich erst wieder mit uns beschäftigen, wenn es an der Zeit ist.“
Juli wusste nicht ganz wohin mit sich. Die Flut an Informationen, die da auf sie einströmte, war beinahe genauso unbegreiflich wie der Überschwang von Gefühlen, den der Körperkontakt mit Raku in ihr auslöste. Sie wusste weder was sie sagen, noch was sie denken sollte. Ma n belog sie sogar in der Schule. Kein Wunder , das s sich kein Mensch in ihrem Land für irgendetwas interessierte. Sie wurden dumm gehalten.
„Was ist? Du guckst so komisch?“ Raku lächelte noch immer. Es war eine gigantische Last von ihr abgefallen, jetzt, da sie wusste, dass sie nicht mehr in Patrona waren. Vielleicht war da noch ein Rest Unsicherheit, weil sie nicht wusste , ob sie in Geison bleiben konnte, aber das war nicht genug, um ihr Herz weiterhin zu verdunkeln.
„Nichts, ich bin erstaunt“ , Juli erwiderte
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