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Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
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Übertragungsrate, jener Genesungsquote und dieser Sterblichkeit aus anderen Gründen … wird irgendwann ein mittleres Ausmaß der Virulenz dominieren.
    Und siehe da: Die Voraussage passte zu den Beobachtungen.
    Mit der Übereinstimmung war gezeigt, dass ihr Modell, das allerdings noch grob und nur eine Annäherung war, unter Umständen helfen konnte, andere Krankheitsepidemien vorauszusagen und ihren Verlauf zu erklären. Anderson und May schreiben: »Unsere wichtigste Schlussfolgerung lautet: eine ›gut ausbalancierte‹ Beziehung zwischen Wirt und Parasit ist nicht zwangsläufig diejenige, in der ein Parasit seinem Wirt nur geringen Schaden zufügt.« 116 Die Kursivierung stammt von den Autoren. Im Gegenteil: Es kommt immer darauf an. Es hängt davon ab, wie Übertragung und Virulenz im Einzelfall miteinander verknüpft sind. Es hängt von Ökologie und Evolution ab.
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    Das Eigen-Paradox
    Anderson und May waren Theoretiker: Sie arbeiteten mit den Daten anderer Wissenschaftler. Das Gleiche gilt für Edward C. Holmes. Anders als sie ist er aber einer der führenden Experten für die Evolution von Viren. Er sitzt in einem schmucklosen Arbeitszimmer am Center for Infectious Disease Dynamics, das zur Pennsylvania State University gehört. Es liegt in einem Ort namens State College zwischen den sanften Hügeln und Laubwäldern in der Mitte des US -Bundesstaates Pennsylvania. Hier erforschen Wissenschaftler durch genaue Analyse von Gensequenzen die Gesetzmäßigkeiten, nach denen Viren sich verändern. Sie untersuchen lange Reihen der fünf Buchstaben A, C, G, T und U , die in unaussprechlicher Folge hintereinanderstehen, als hätte ein hyperaktiver Schimpanse auf einer Schreibmaschine herumgehackt. Holmes’ Büro ist aufgeräumt und bequem, die sparsame Möblierung besteht aus einem Schreibtisch, einem Tisch und mehreren Stühlen. Es gibt nur wenige Bücherregale, wenige Bücher, wenige Aktenordner oder Papiere. Das Zimmer eines Denkers. Auf dem Schreibtisch steht ein Computer mit einem großen Monitor. Auf einem Plakat über dem Computer wird die »Virosphäre« gefeiert. Damit ist die unerforschliche Vielfalt sämtlicher Viren auf der Erde gemeint.
    Edward C. Holmes ist Engländer, den es von London und Cambridge nach Pennsylvania verschlagen hat. Wenn er über entscheidende Fakten oder innovative Ideen spricht, treten seine Augen ein wenig hervor, denn gute Fakten und Ideen begeistern ihn. Sein Kopf ist rund und da, wo er nicht ohnehin bereits kahl ist, sorgfältig rasiert. Er trägt eine Brille mit dickem Metallbügel, die ein bisschen an Jurij Andropow erinnert. Obwohl er ein echter »Eierkopf« ist und obwohl er auf den ersten Blick aussieht wie ein ZK -Chef der früheren Sowjetunion, ist Edward C. Holmes alles andere als ein nüchterner Technokrat. Er ist lebhaft und humorvoll, ein großzügiger Mensch, der am liebsten über das spricht, was wirklich wichtig ist: Viren. Alle nennen ihn Eddie.
    »Die meisten neu auftauchenden Krankheitserreger sind RNA -Viren«, erklärt er mir. RNA-Viren im Gegensatz zu DNA -Viren, zu Bakterien oder allen anderen Typen von Parasiten. Die einzelnen RNA -Viren braucht er nicht aufzuzählen – die Liste habe ich bereits im Kopf: Hendra und Nipah, Ebola und Marburg, West-Nil, Machupo, Junin, die Grippeviren, Hantaviren, Dengue- und Gelbfieber, das Tollwutvirus und seine Vettern, Chikungunya, SARS -CoV und Lassa, von HIV -1 und HIV -2 ganz zu schweigen. Sie alle tragen ein Genom aus RNA. Die Kategorie umfasst anscheinend einen unverhältnismäßig großen Anteil an heimtückischen Zoonosen, darunter der größte Teil der neuesten und schlimmsten. Mittlerweile fragen sich manche Wissenschaftler, warum das so ist. Eddie Holmes hat ein Buch darüber geschrieben, The Evolution and Emergence of RNA Viruses , das 2009 erschienen ist. Deshalb bin ich hier.
    Zugegeben, sagt Eddie, es gibt generell wahnsinnig viele RNA -Viren, und damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass manche von ihnen es auf Menschen abgesehen haben. RNA -Viren findet man in den Ozeanen, im Boden, in Wäldern und in Städten; RNA -Viren infizieren Bakterien, Pilze, Pflanzen und Tiere. Wie er in seinem Buch erklärt, ernährt möglicherweise jede zelluläre Lebensform auf unserem Planeten mindestens eine Art von RNA -Viren, aber sicher wissen wir das nicht, schließlich fangen wir gerade erst an zu suchen. Zur Unterstützung seiner Aussage genügt ein Blick auf das Poster mit der Virosphäre, auf dem das

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