Spillover
Schweinebauer aus einem Dorf namens Sungai Nipah. Der Mann war mit Fieber und geistig verwirrt ins Krankenhaus gekommen, und sein linker Arm zuckte. Sechs Tage später war er tot.
Zusammen mit seiner technischen Assistentin isolierte Chua ein Virus aus der Probe von Sungai Nipah. Sie züchteten es im Labor in einer Zelllinie heran, die ursprünglich aus der Niere eines afrikanischen Affen stammte. Und das Virus begann sofort, die Zellen zu schädigen. Die Anomalien sahen aber nicht nach JE aus. Einzelne Zellen waren vergrößert und verschmolzen zu großen, membranumhüllten Blasen, in denen sich zahlreiche Zellkerne verteilten. Chua bat seinen Kollegen Abu Bakar, sich die Sache anzusehen.
»Es war wirklich ungewöhnlich«, erklärt mir Abu Bakar, als ich ihn später in seinem Büro in Kuala Lumpur besuche. Paul Chua ist mittlerweile an das Gesundheitsministerium gewechselt, und Abu Bakar (seine jungen Studenten nennen ihn Professor Sazaly) hat jetzt selbst den Lehrstuhl für Medizinische Mikrobiologie inne. »Wir sind alle zu dem Schluss gelangt, dass wir da in den Zellkulturen etwas ganz Ungewöhnliches haben.«
Der nächste logische Schritt, so Professor Sazaly, bestand darin, sich das Virus in einem guten Elektronenmikroskop anzusehen. Zellkulturen zeigen zwar, wie ein Virus insgesamt wirkt – dieser Effekt ist an den zerstörten Zellen mit bloßem Auge zu erkennen. Um aber die einzelnen Virionen sichtbar zu machen, braucht man ein Elektronenmikroskop. »Leider hatten wir zu jener Zeit im ganzen Land kein einziges gutes Instrument.« Das Elektronenmikroskop an der Universität war alt und mitgenommen. Malaysia ist ein asiatischer Tigerstaat und hat viele gut ausgebildete Wissenschaftler, aber bestimmte technische Ressourcen fehlen immer noch.
Deshalb aktivierte der Institutsleiter Ken Lam alte Kontakte in die Vereinigten Staaten und richtete es so ein, dass Paul Chua nach Amerika reisen konnte. Chua packte ein paar gefrorene Proben in eine Reisetasche und stieg ins Flugzeug. Viele Stunden später kam er in Fort Collins in Colorado an, wo sich in einer Außenstelle der CDC auch das Institut für von Vektoren übertragene Krankheiten befindet. Dort untersuchte er zusammen mit Wissenschaftlern der CDC unter einem erstklassigen Elektronenmikroskop die Proben aus Sungai Nipah. Was sie sahen, war kein JE -Virus. Es erinnerte eher an dicht gedrängte Paramyxoviren, lange Fäden mit einer Art Fischgrätenstruktur. Malaysische Masern? Ein mörderischer Schweinemumps? Nach dieser vorläufigen Identifizierung schickte man Chua weiter ins Hauptquartier der CDC in Atlanta; dort waren Experten für Paramyxoviren seine neuen Ansprechpartner. Sie unterwarfen das Probenmaterial verschiedenen Analyseverfahren, testeten Antikörperreaktionen und erhielten mit Hendra-Antikörpern ein vorläufiges positives Ergebnis. Als sie aber einen Teil des Virusgenoms sequenzierten, stellte sich heraus, dass es sich um einen völlig neuen Erreger handelte: Er ähnelte zwar dem Hendra-Virus, war aber etwas anderes. Paul Chua und seine Kollegen tauften es nach dem Dorf, aus dem der 51-jährige Bauer gekommen war, auf den Namen Nipah-Virus. Die Krankheit erhielt den Namen Nipah-Virusenzephalitis.
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Eine Delle in der Produktivität
Hier fließen die Geschichten zusammen. Nachdem die malaysischen Mikrobiologen wussten, dass ihre Epidemie von einem hendraähnlichen Virus verursacht wurde, rief Ken Lam einen anderen Kollegen an, dieses Mal in Australien. Spezialisten für das Nipah-Virus gab es noch nicht, aber das Zweitbeste war vielleicht ein Hendra-Experte. Über einen Mittelsmann gelangte Lams Anfrage zu Hume Field, dem schlaksigen früheren Tierarzt, der das Hendra-Virus bei Flughunden entdeckt hatte. Drei Tage später saß Field im Flugzeug nach Kuala Lumpur.
Dort fand er sich in einem internationalen Team wieder, das nach Malaysia gekommen war, um den dortigen Experten bei der Krisenbewältigung zu helfen, und von einem hochrangigen Mitarbeiter der CDC geleitet wurde. Die erste Aufgabe bestand darin, die unmittelbare Gefahr für die Menschen abzuwenden. »Damals schossen die Fallzahlen bei Menschen in die Höhe«, erzählte Field mir später bei einem unserer Gespräche in Brisbane. »Es waren ungefähr fünfzig neue Fälle je Woche. Deshalb bestand ein großer gesellschaftlicher und politischer Druck, die Ausbreitung der Infektion zu verhindern.« Zu diesem Zweck musste das Team den Erreger kennenlernen und in Erfahrung bringen, wie
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