Spillover
Wasser-Jambuse. Der Wasser-Jambuse ist eine kleine unscheinbare, glockenförmige Frucht, die meist rosa oder rot gefärbt ist, süß schmeckt und so viel Wasser enthält, dass Kinder damit ihren Durst stillen können. Chuas Arbeitsgruppe legte von all diesen Proben gewissenhaft Kulturen an und konnte drei Isolate des Nipah-Virus heranzüchten, zwei aus Urin und einen aus einem Stück Wasser-Jambuse. Das Virus ähnelte stark den Stämmen, die man bei erkranken Menschen gefunden hatte. Damit war bewiesen, dass Flughunde die Reservoirwirte des Erregers sind und ihn auf Schweine übertragen können, von denen er dann auf Menschen übergeht.
Chua hatte mit seiner Arbeit also ein plausibles Szenario für den Übersprung geschaffen. Wie gelangte das Virus von den Fledertieren in die Schweine? Dazu war nicht mehr notwendig als ein Mango- oder ein Wasser-Jambusenbaum voller reifer Früchte, die über einem Schweinestall hingen. Eine infizierte Fledermaus frisst von einer Wasser-Jambuse, Stücke des mit dem Virus kontaminierten Fruchtfleischs fallen zwischen die Schweine, eines schnappt danach und nimmt eine kräftige Virusdosis auf, das Virus vermehrt sich in diesem Schwein und geht auch auf seine Artgenossen über, wenig später ist der ganze Bestand infiziert, und die Menschen, die ihn betreuen, werden ebenfalls krank. Weit hergeholt ist ein solches Szenario nicht. In der vielgestaltigen malaysischen Landwirtschaft jener Zeit, in der marktfähige Früchte die Einnahmen aus der Viehzucht ergänzten, gab es mehr als einen Schweinekoben, in dessen Nähe Mangos, Wasser-Jambusen und andere Früchte wuchsen. Das Nipah-Virus dürfte in Form süßer kleiner Pakete zu Boden gefallen sein. Welches Schwein hätte da widerstehen können?
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Die Nadel im Heuhaufen
Der malaysische Staat reagierte entschlossen: Die Vorschriften für die Landwirtschaft wurden verschärft, einige Betriebe wurden geschlossen, Schweineställe wurden von Obstbäumen weg verlegt, und die Öffentlichkeit wurde mit einer Aufklärungskampagne gewarnt. Hütet euch vor Nipah! Achtet auf Schweine mit Asthma! Aber so einfach war es nicht, die Bedrohung durch das Virus vollkommen zu beseitigen. Zwei Jahre später tauchte es in Bangladesch auf, obwohl es in diesem muslimischen Land nur sehr wenige Schweine gibt.
Bangladesch ist durch Epidemien von Infektionskrankheiten aus mehreren Gründen besonders gefährdet; der naheliegendste ist die hohe Bevölkerungsdichte. Auf einer Fläche von rund 147000 Quadratkilometern leben fast 150 Millionen Menschen; damit ist es (abgesehen von kleinen Stadtstaaten wie Singapur und Malta) der am dichtesten besiedelte Staat der Welt. Die geringe Höhenlage (die meisten Landesteile liegen kaum mehr als zehn Meter über dem Meeresspiegel) und die regelmäßig wiederkehrenden Überschwemmungen (durch Monsunregen und Flüsse) verstärkten die Gefährdung durch Krankheiten wie Cholera und Bakterienruhr, die mit dem Wasser übertragen werden und jedes Jahr unter der Bevölkerung Zehntausende von Todesopfern fordern, insbesondere Kinder. Für Nipah sind die Zahlen zwar viel niedriger und die Mechanismen ganz anders, aber die Tatsache, dass dieses Virus in Bangladesch auftauchte und (wie wir noch genauer erfahren werden) manchmal auch von Mensch zu Mensch übertragen wird, war für Wissenschaftler und Gesundheitsbehörden ein Anlass, die Lage sehr ernst zu nehmen. Jede Infektionskrankheit, die sich durch die Luft verbreitet, kann im Ballungsgebiet von Dhaka mit seinen 17 Millionen Einwohnern, den anderen großen Städten und den ständig überbevölkerten kleinen Dörfern verheerende Folgen haben. Außerdem würde eine solche große Epidemie nicht nur die Menschen in Bangladesch töten, sondern dem Virus auch eine Fülle von Gelegenheiten bieten, sich noch besser an Menschen als Wirte anzupassen.
Zur ersten Nipah-Epidemie in Bangladesch kam es im April und Mai 2001. Betroffen war Chandpur, ein Dorf von 600 Einwohnern in den Niederungen im Süden des Landes. Dort erkrankten 13 Menschen, neun von ihnen starben, und Blutproben bestätigten, dass es sich um Nipah handelte; damit schien das Problem vorüber zu sein. Menschen sterben in Bangladesch nur allzu häufig an irgendetwas, und diese kleine Häufung von Fällen gab noch keinen Anlass zu irgendeiner Panik oder gründlichen Untersuchungen. Woher war das Virus gekommen? Unbekannt. Wenn Fledertiere wieder die Reservoirwirte waren, was hatte den Übersprung ausgelöst? Unbekannt. Was war der
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