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Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
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Das Nipah-Virus ist nicht zu erkennen. Deshalb ergreifen wir die vielen Vorsichtsmaßnahmen.« Als wir das Labor verlassen, taucht er seine Stiefel noch einmal in das sterile Fußbad, anschließend wäscht er sie an der Pumpe des Dorfes ab. Ein kleines Mädchen bringt Seife.
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    Gelegenheiten schaffen Möglichkeiten
    »Der Schlüssel liegt in den Verbindungen«, erklärt mir Epstein, als wir uns am nächsten Nachmittag in einer ruhigen Minute unterhalten. »Entscheidend ist, dass man versteht, wie Tiere und Menschen verbunden sind.« Wir sind wieder im Hotel, haben geduscht und gegessen; zuvor haben wir in einer weiteren Nacht 15 Flughunde gefangen, Proben genommen und sie wieder freigelassen. Man kann, so sagt er, einen neuen Erreger oder einen Reservoirwirt nicht so erforschen, als würde er in einem Vakuum existieren. Entscheidend sind die Kontakte mit Menschen, die Interaktionen und Gelegenheiten. »Darin liegt die Gefahr des Übersprungs.«
    Während der nächsten halben Stunde kommt er immer wieder auf das Wort »Gelegenheit« zurück. »Viele von diesen Viren, viele dieser Erreger, die aus Wildtieren auf Haustiere oder Menschen überspringen, gibt es in freier Wildbahn schon seit sehr langer Zeit«, sagt er. Sie verursachen dort nicht unbedingt Krankheiten. Ihre Evolution ist über Jahrmillionen hinweg parallel zu der ihrer natürlichen Wirte abgelaufen. Sie haben eine Art Arrangement getroffen: Die Viren vermehren sich langsam, aber stetig, wandern unauffällig durch die Wirtspopulation, erfreuen sich einer langfristigen Sicherheit – und verzichten dafür auf den kurzfristigen Erfolg in Form einer maximalen Vermehrung in jedem einzelnen Wirt. Eine solche Strategie funktioniert. Wenn Menschen aber das Arrangement stören – wenn wir der Wirtspopulation auf den Leib rücken, sie als Fleischlieferanten jagen, sie aus ihren Ökosystemen verdrängen und diese Ökosysteme beeinträchtigen oder zerstören –, wächst das Risiko. »Die Erreger erhalten dann zunehmend Gelegenheit, von ihrem natürlichen Wirt auf eine neue Spezies überzuspringen«, sagt er. Bei dem neuen Wirt kann es sich um irgendein Tier (Pferde in Australien, Larvenroller in China) handeln, häufig ist es aber der Mensch, weil wir so aufdringlich und in so großer Zahl vorhanden sind. Wir bieten den Erregern eine Fülle von Gelegenheiten.
    »Manchmal passiert überhaupt nichts«, sagt Epstein. Der Übersprung findet statt, aber der Mikroorganismus bleibt im neuen Wirt ebenso gutartig, wie er im alten war (Affen-Foamy-Virus?). In anderen Fällen ist die Folge eine schwere Erkrankung einer begrenzten Zahl von Menschen, und danach steckt der Erreger in einer Sackgasse (Hendra, Ebola). In wieder anderen erzielt der Erreger in seinem neuen Wirt einen durchschlagenden Erfolg. Er ist für die neue Umgebung so gut geeignet, dass er dort Fuß fassen kann, und passt sich dann noch weiter an. Er macht eine Evolution durch, gedeiht und hält sich. Die Geschichte von HIV ist die Geschichte eines Virus, das durch den Übersprung nicht in eine Sackgasse geraten ist, obwohl es denkbar gewesen wäre.
    Ja, stimme ich zu, HIV ist ein eindringliches Beispiel. Aber gibt es einen bestimmten Grund, warum andere RNA -Viren nicht das gleiche Potenzial haben? Nipah zum Beispiel?
    »Da gibt es keinen Grund. Überhaupt keinen«, sagt Epstein. »Ob ein Erreger in einem neuen Wirt Erfolg hat, hängt nach meiner Überzeugung zu einem großen Teil vom Zufall ab.« Er erinnert mich daran, dass RNA -Viren mit ihren hohen Mutations- und Vermehrungsraten sehr anpassungsfähig sind, und jeder Übersprung stellt eine neue Gelegenheit dar, sich anzupassen und Fuß zu fassen. Wahrscheinlich werden wir nie erfahren, wie oft so etwas geschieht – wie viele Tierviren ganz unauffällig auf Menschen überspringen. Viele von ihnen lösen keine Krankheiten aus, oder sie verursachen eine neue Krankheit, die – zumindest in Regionen mit schlechter Gesundheitsversorgung – fälschlich für eine alte gehalten wird. »Je mehr Gelegenheiten Viren haben, von einem Wirt zum anderen zu springen«, sagt Epstein, »desto mehr Gelegenheit haben sie auch zu Mutationen, wenn sie auf ein neues Immunsystem treffen.« Die Mutationen ereignen sich zufällig, aber sehr häufig, und dabei werden Nucleotide in unzähligen neuen Kombinationen zusammengestellt. »Früher oder später hat dann eines dieser Viren die richtige Kombination, mit der es sich an seinen neuen Wirt anpassen kann.«
    »Gelegenheiten«

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