Spillover
hatten sich aus dem Getriebe in tiefere Winkel zurückgezogen. Towner starrte gerade einen Python an, da bemerkte Amman, dass auf dem Boden etwas glitzerte.
Auf den ersten Blick sah es aus wie ein ausgebleichter Wirbelknochen, der in der Exkrementmasse lag. Amman hob das Ding auf.
Es war kein Wirbel. Es war eine Kette aus Aluminiumperlen mit einer daran befestigten Zahl. Genauer gesagt, war es eines jener Perlenhalsbänder, die er und Towner drei Monate zuvor den Fledertieren in der Kitaka Cave umgelegt hatten, der anderen , 50 Kilometer entfernten Marburg-Höhle. Das Codehalsband war das Halsband K-31, das heißt, es stammte von dem 31. Tier, das sie freigelassen hatten. »Da habe ich natürlich die Beherrschung verloren«, erzählt mir Amman. »Ich habe ›Ja, ja, ja!‹ geschrien und bin herumgehüpft. Jon und ich, wir waren total aus dem Häuschen.« Ammans wilder Jubel ist völlig normal für einen Wissenschaftler, der gerade feststellt, dass zwei kleine, hart erarbeitete Daten-Puzzlesteine plötzlich zusammenpassen und ihm die Erleuchtung bringen. Man stelle sich zwei Männer in einer dunklen Felsenkammer vor, die Helmlampen tragen und sich mit ihren Nitrilhandschuhen abklatschen.
Durch den Fund des Halsbandes in der Python Cave war ihre Markierungsstudie mit einem Schlag gerechtfertigt. »Es bestätigte meine Vermutung, dass diese Fledertiere sehr mobil sind«, sagt Amman – und sie bewegen sich nicht nur durch den Wald, sondern von einem Schlafplatz zum anderen. Die Wanderung einzelner Flughunde (wie K-31) zwischen weit auseinanderliegenden Stellen (wie Kitaka und Python Cave) legen die Vermutung nahe, dass sich das Marburgvirus letztlich von einem Flughundquartier zum anderen über ganz Afrika verbreiten kann. Sie lässt darauf schließen, dass sich Flughundpopulationen nacheinander infizieren oder reinfizieren können wie die nacheinander aufleuchtenden Lämpchen in einer Weihnachtslichterkette. Die Annahme, das Virus sei ausschließlich lokal verbreitet, war haltlos. Außerdem rückte eine ergänzende Frage in den Mittelpunkt: Warum kommt es nicht häufiger zu Epidemien durch das Marburgvirus?
Marburg ist nur einer von mehreren Erregern, auf die diese Frage zutrifft. Warum nicht mehr Hendra? Warum nicht mehr Nipah? Warum nicht mehr Ebola? Warum nicht mehr SARS ? Wenn Fledertiere so zahlreich, artenreich und mobil sind, und wenn zoonotische Viren in ihnen so häufig vorkommen, warum springen diese Viren dann nicht häufiger auf Menschen über und fassen bei uns Fuß? Sind wir durch irgendeinen rätselhaften Schirm geschützt? Oder haben wir nur mehr Glück als Verstand?
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Ökologische Verschiebungen
Dass solche Krankheiten nicht ständig über uns kommen, dürfte zum Teil an der ökologischen Dynamik des Virus selbst liegen. Ja, Viren haben ebenso eine ökologische Dynamik wie Organismen, die ganz eindeutig lebendig sind. Was ich damit meine? Sie stehen nicht nur auf der Ebene der einzelnen Wirtsorganismen und Zellen mit anderen Organismen in Verbindung, sondern auch im Maßstab ganzer Landschaften. Ein Virus hat eine geographische Verbreitung. Ein Virus kann aussterben. Häufigkeit, Überleben und Verbreitung eines Virus hängen von anderen Organismen und deren Fähigkeiten ab. Das ist Virusökologie. Um ein anderes Beispiel zu nennen: Im Fall von Hendra dürften Veränderungen in der Ökologie des Virus ein Grund dafür gewesen sein, dass es plötzlich beim Menschen zum Krankheitserreger wurde.
Diese Überlegung bildet die Grundlage der Forschungstätigkeit von Raina Plowright. Die australische Tierärztin arbeitete zunächst in New South Wales und Übersee – Großbritannien, Afrika, Antarktis – mit Haus- und Wildtieren, dann machte sie an der University of California in Davis zunächst ihren Master in Epidemiologie und anschließend promovierte sie über die Ökologie der Infektionskrankheiten. Sie gehört zu der bereits erwähnten neuen Spezies fachübergreifend ausgebildeter Krankheitsspezialisten, denen die engen Wechselbeziehungen zwischen der Gesundheit von Menschen, Wildtieren, Nutztieren und den Lebensräumen, die wir mit ihnen teilen, sehr bewusst ist. Um für ihre Promotion Feldstudien zu betreiben, kehrte Plowright nach Australien zurück und beschäftigte sich dort mit der Dynamik des Hendra-Virus in einem seiner Reservoirwirte, dem Kleinen Roten Flughund. Einen Teil der Tiere fing und beprobte sie im Northern Territory, südlich von Darwin, mitten in den Eukalyptus- und
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