Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
Vom Netzwerk:
sie sich auch von HIV -2. Offensichtlich war das Affenvirus also mit keinem der beiden menschlichen Viren näher verwandt als mit dem anderen. Das sprach gegen die Vorstellung, HIV -2 sei erst kürzlich von einer Grünen Meerkatze übergesprungen. Ein Kommentar im Fachblatt Nature , der zusammen mit dem japanischen Fachartikel erschien, feierte den Befund unter einer dogmatischen Überschrift: »Menschliches AIDS -Virus stammt nicht von Affen.« 146 Aber die Schlagzeile war falsch. Wie sich herausstellte, hatten die Wissenschaftler nur bei der falschen Affenart gesucht.
    Die Verwirrung hatte zwei Ursachen. Zunächst einmal ist die Bezeichnung »Grüne Meerkatze« ungenau. Sie bezieht sich auf eine ganze Reihe von Arten, die benachbarte geographische Regionen im mittleren und südlichen Afrika bewohnen, vom Senegal im Westen bis nach Äthiopien im Osten und bis nach Südafrika im Süden. Früher fasste man alle diese Formen als »Überart« unter dem wissenschaftlichen Namen Cercopithecus aethiops zusammen. Inzwischen hat man sich genauer mit den Unterschieden beschäftigt und klassifiziert sie als sechs verschiedene Arten der Gattung Chlorocebus . Die »Grüne Meerkatze«, deren Blut von dem japanischen Team untersucht wurde, war »kenianischen Ursprungs« 147 und gehörte vermutlich zur Spezies Chlorocebus pygerythrus (alias Südliche Grünmeerkatze). Die im Senegal heimische Art dagegen heißt Chlorocebus sabaeus (alias Westliche Grünmeerkatze). Damit sind die Namen genannt, und wir können sie wieder vergessen. Der Unterschied zwischen den verschiedenen Grünen Meerkatzen ist nicht der Grund für die genetischen Unterschiede zwischen SIV und HIV -2.
    Als man den Weg von HIV -2 zurückverfolgte, gelangte man zu einer anderen Affenart: der Ruß-Mangabe. Sie gehört nicht zu den Grünen Meerkatzen, sondern zu einer ganz anderen Gattung.
    Die Ruß-Mangabe ( Cercocebus atys ) ist ein dunkelgraues Tier mit dunklem Gesicht und dunklen Händen, weißen Augenbrauen und einem leuchtend weißen Backenbart. Ihre Heimat ist Westafrika vom Senegal bis nach Ghana; am liebsten lebt sie in Sümpfen und Palmenwäldern, wo sie sich von Früchten, Nüssen, Samen, Blättern, Pflanzenschösslingen und Wurzeln ernährt. Meist bewegt sie sich auf der Suche nach herabgefallenen Leckerbissen auf allen Vieren auf dem Erdboden fort. Manchmal wagt sie sich auch aus den Wäldern heraus, um Bauernhöfe und Reisfelder heimzusuchen. In den Sumpfwäldern lässt sich die Ruß-Mangabe nur schwer jagen, aber da sie auf dem Erdboden nach Nahrung sucht und eine Vorliebe für Getreide hat, kann man sie leicht mit Fallen fangen. Die Einheimischen sehen in ihr ein lästiges, aber essbares Ungeziefer. Und wenn sie gerade keinen großen Hunger haben, adoptieren sie auch hin und wieder ein verwaistes Affenbaby als Haustier.
    Dass die AIDS -Forscher auf die Ruß-Mangaben aufmerksam wurden, ist dem Zufall und einem Experiment mit Lepra zu verdanken. Es handelt sich um ein schönes Beispiel für die alte Wissenschaftlerweisheit: Manchmal findet man viel mehr als das, wonach man gesucht hat.
    Schon im September 1979 bemerkten Wissenschaftler eines Primaten-Forschungszentrums in New Iberia im US-Bundesstaat Louisiana bei einem ihrer gefangenen Affen eine lepraähnliche Infektion. Das war seltsam – eigentlich ist Lepra ausschließlich eine Erkrankung von Menschen; sie wird von dem Bakterium Mycobacterium leprae verursacht, das, soweit man weiß, nicht von Menschen auf andere Primaten übertragen wird. Und doch war ein Affe an Lepra erkrankt. Das Tier, eine weibliche, ungefähr fünf Jahre alte Ruß-Mangabe, war ein Import aus Westafrika. Die Wissenschaftler hatten ihr den Namen Louise gegeben. Vom Zustand ihrer Haut abgesehen, war Louise gesund, und soweit es aus den Berichten zu erkennen war, hatte man sie noch nie experimentell infiziert. Sie war vielmehr Teil einer Studie über Ernährung und Cholesterin; mit Lepra wurde in der Einrichtung in New Iberia überhaupt nicht gearbeitet. Als man die Krankheit erkannt hatte, brachte man Louise in eine Einrichtung, in der man mit dieser Krankheit vertraut war: das Delta Regional Primate Research Center nördlich des Lake Pontchartrain, ebenfalls in Louisiana. Die dortigen Wissenschaftler waren froh, Louise zu bekommen, und das aus einem ganz praktischen Grund. Wenn sich der Affe die Lepra auf natürlichem Weg zugezogen hatte, war die Krankheit (entgegen den bisherigen Annahmen) in Populationen von Ruß-Mangaben

Weitere Kostenlose Bücher