Spillover
es etwas länger. Die logische Schlussfolgerung lautete: Auch HIV -1 muss zoonotischen Ursprungs sein. Aber welches Tier war der Reservoirwirt? Wann, wo und wie war es zum Übersprung gekommen? Und warum waren die Folgen viel schlimmer?
HIV -2 ist sowohl weniger gut übertragbar als auch weniger virulent als HIV -1. Die molekularen Ursachen dieser folgenschweren Unterschiede sind nach wie vor ein Geheimnis der Genome, aber die ökologischen und medizinischen Konsequenzen sind eindeutig und krass. HIV -2 ist im Wesentlichen auf westafrikanische Staaten wie Senegal und Guinea-Bissau sowie andere Regionen beschränkt, die gesellschaftlich und wirtschaftlich mit dem früheren portugiesischen Kolonialreich verbunden waren; dazu gehören auch Portugal selbst und der Südwesten Indiens. HIV -2-Infizierte tragen das Virus in der Regel in geringerer Menge im Blut, infizieren einen geringeren Teil ihrer Sexualpartner und leiden an einer weniger schweren oder länger hinausgezögerten Form der Immunschwäche. Bei vielen von ihnen bricht AIDS anscheinend gar nicht aus. Und Mütter, die mit HIV -2 infiziert sind, geben es seltener an ihre Neugeborenen weiter. Das Virus ist schlimm, aber bei Weitem nicht so schlimm, wie man es sich vorstellen könnte. Den Vergleich liefert HIV -1: Von diesem Erreger sind Zigmillionen Menschen auf der ganzen Welt betroffen. HIV -1 ist die Pandemie-Geißel. Um zu verstehen, wie die AIDS -Katastrophe über die Menschheit hereingebrochen war, mussten Wissenschaftler auch HIV -1 bis zu seiner Quelle zurückverfolgen.
Das bringt uns zurück nach Franceville, der Stadt im Südosten Gabuns, und dem dort angesiedelten Centre International de Recherches Médicales ( CIRMF ), jenem Forschungsinstitut, an dem Eric Leroy später auch seine Untersuchungen am Ebolavirus anstellte. Ende der 1980er Jahre arbeitete die junge Belgierin Martine Peeters ungefähr ein Jahr lang als Forschungsassistentin am CIRMF ; es war die Zeit zwischen ihrem Diplom in Tropenmedizin und ihrer Dissertation. Das CIRMF hielt in einem Gebäude eine ganze Reihe von Primaten, darunter drei Dutzend Schimpansen. Peeters hatte zusammen mit einigen anderen Kollegen die Aufgabe, die gefangenen Tiere auf Antikörper gegen HIV -1 und HIV -2 zu testen. Bei fast allen Schimpansen fiel der Test negativ aus – mit zwei Ausnahmen. Beide hatte man erst kurz zuvor gefangen. Schimpansenbabys und andere verwaiste Primaten werden manchmal in Gefangenschaft gehalten oder als Haustiere verkauft, wenn ihre Mütter getötet und verspeist wurden. Eines der Tiere, ein Weibchen von zwei Jahren mit Schusswunden, war zur medizinischen Behandlung an das CIRMF gebracht worden. Es starb an den Verletzungen, zuvor konnte man ihm aber noch eine Blutprobe abnehmen. Das andere war ein Jungtier von vielleicht sechs Monaten, das am Leben blieb. Das Blutserum der beiden reagierte im Test gegen HIV -1 stark, mit HIV -2 war die Reaktion schwächer. Das war auffällig, aber auch zweideutig. Antikörpertests sind ein indirektes Maß für die Infektion; man kann sie relativ bequem und schnell durchführen, sie sind aber auch ungenau. Präzisere Ergebnisse erhält man, wenn man Bruchstücke der Virus-RNA nachweist oder – noch besser – wenn man ein Virus isoliert, im Ganzen dingfest macht und in größeren Mengen heranzüchtet; nur dann ist eine zuverlässige Identifizierung möglich. Martine Peeters und ihren Mitarbeitern gelang es, aus dem Schimpansenbaby ein Virus zu isolieren. Als ich sie zwanzig Jahre später in ihrem Büro an einem Institut in Südfrankreich anrufe, erinnert sich Peeters sehr lebhaft daran, wie sich das Virus in einer Reihe molekularbiologischer Tests bemerkbar machte.
»Es war insbesondere deshalb überraschend, weil es so nahe mit HIV -1 verwandt war«, sagt sie.
Ob es zuvor schon andere Anhaltspunkte gegeben habe?
»Ja. Damals wussten wir bereits, dass HIV -2 höchstwahrscheinlich von westafrikanischen Primaten stammt«, sagt sie in Anspielung auf die Untersuchungen an den Ruß-Mangaben. »Aber ein Virus, das stark HIV -1 ähnelt, hatte man bei Primaten noch nicht entdeckt. Bis heute ist es das einzige Virus, das HIV -1 so nahe steht.« Ihre Arbeitsgruppe hatte 1989 in einem Fachartikel über das neue Virus berichtet und es als SIV cpz (für chimpanzee , Schimpanse) bezeichnet. Die Arbeitsgruppe behauptete nicht, sie habe das Reservoir von HIV -1 entdeckt, sondern zog aus den Daten eine bescheidenere Schlussfolgerung: »Es wurde die Vermutung
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