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Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
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übertragbar. Und wenn das stimmte, konnte sich diese Affenart als wertvolles Tiermodell für die Untersuchung der Lepra beim Menschen erweisen.
    Also spritzte das Team des Delta Center einer Ruß-Mangabe infektiöses Material von Louise. Das neue Versuchstier war ein Männchen. Im Gegensatz zu Louise hat es in den wissenschaftlichen Aufzeichnungen keinen Namen, sondern nur eine Codebezeichnung: A022. Louises Lepra fasste bei A022 leicht Fuß. Das war bemerkenswert: Frühere Versuche, Affen mit menschlicher Lepra zu infizieren, waren gescheitert. War dieser Stamm von Mycobacterium leprae besonders gut an Affen angepasst? Und wenn ja: Konnte man mit ihm auch bei Rhesusaffen Erfolg haben? Das wäre für experimentelle Zwecke bequem, denn Rhesusaffen sind weitaus billiger und in den Lieferketten für die medizinische Forschung leichter verfügbar als Ruß-Mangaben. Also spritzte das Team am Delta Center auch vier Rhesusaffen das infektiöse Material von A022. Alle vier bekamen Lepra, und die erwies sich bei drei von ihnen als ihre letzte Krankheit; denn die unglücklichen drei bekamen außerdem Affen- AIDS . Mit chronischem Durchfall und Gewichtsverlust ging es mit ihnen bergab, bis sie schließlich starben.
    Als die Wissenschaftler nach Viren suchten, fanden sie SIV . Wie waren die drei Rhesusaffen SIV -positiv geworden? Offensichtlich durch das Lepramaterial aus der Ruß-Mangabe A022. War sie die Einzige? Nein. Bei Tests an anderen Ruß-Mangaben des Primatenzentrums stellte sich heraus, dass das Virus unter ihnen »endemisch« war. 148 Wenig später fanden es auch andere Wissenschaftler, und zwar nicht nur bei gefangenen Ruß-Mangaben, sondern auch in freier Wildbahn. Aber die (in Afrika heimischen) Ruß-Mangaben zeigten im Gegensatz zu den Rhesusaffen (die in Asien zu Hause sind) keine Symptome von Affen- AIDS . Sie waren infiziert, aber gesund; dies ließ darauf schließen, dass das Virus in ihrer Spezies bereits eine lange Vergangenheit hatte. Dagegen machte das gleiche Virus die Rhesusaffen krank – vermutlich weil es für sie neu war.
    Die Liste der Affen-Immunschwächeviren wurde nun immer länger und komplizierter. Mittlerweile kannte man drei Varianten: eine aus afrikanischen Grünen Meerkatzen, eine aus asiatischen Rhesusaffen (die sie sich vermutlich in Gefangenschaft zugezogen hatten) und eine aus afrikanischen Ruß-Mangaben. Da man sie benennen und unterscheiden musste, kam jemand als Notlösung auf die Idee, der Abkürzung einen tief gestellten Index hinzuzufügen. Das Affen-Immunschwächevirus aus den Ruß-Mangaben wurde zu SI V sm (für sooty mangabey , ihrem englischen Namen), die beiden anderen hießen nun SI V gm (für green monkey , Grüne Meerkatze) und SI V mac (für macaque , Rhesusaffe). Diese Konvention mag albern und in jedem Fall wenig augenfreundlich erscheinen, aber sie wird entscheidend und erhellend sein, wenn ich über die schicksalhafte Bedeutung einer Variante berichte, die unter der Bezeichnung SI V cpz bekannt wurde.
    Vorerst brauchen wir nur festzuhalten, was bei den Lepra-Experimenten in Louisiana unter dem Strich herauskam. Michael Anne Murphey-Corb, eine Wissenschaftlerin aus dem Team am Delta Center, analysierte in Zusammenarbeit mit Molekularbiologen aus anderen Instituten die Genome der SI V s aus Ruß-Mangaben und Rhesusaffen, um so einen vorläufigen Stammbaum aufzustellen. Ihre Arbeiten erschienen 1989 mit Vanessa M. Hirsch als erster Autorin und zeigten, dass SI V sm eng mit HIV -2 verwandt ist. Das Gleiche gilt für SI V mac . »Diese Befunde legen die Vermutung nahe, dass SI V sm sowohl Rhesusaffen in Gefangenschaft als auch Menschen in Westafrika infiziert hat und sich dann zu SI V mac beziehungsweise HIV -2 weiterentwickelte«, 149 schrieb die Arbeitsgruppe, womit sie die Ruß-Mangaben als Ursprung benannte. Tatsächlich waren sich die drei Stämme sehr ähnlich, was darauf hindeutet, dass sie sich erst in recht junger Vergangenheit von einem gemeinsamen Vorfahren auseinanderentwickelt haben.
    Um die Aussage ganz deutlich zu machen, fügten Hirsch und ihre Koautoren hinzu: »Nach einer plausiblen Interpretation dieser Daten infizierte SIV aus einer westafrikanischen Ruß-Mangabe (oder einer eng verwandten Spezies) erfolgreich einen Menschen und entwickelte sich als HIV -2 weiter.« Damit war es offiziell: HIV -2 ist eine Zoonose.
    89
    Das HI-Alphabet
    Aber wie steht es mit HIV -1? Woher kommt der eigentliche Killer? Bis dieses schwierigere Rätsel gelöst war, dauerte

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