Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spin

Spin

Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Nerven gegangen. Angenommen, Sie hätten an jenem ersten Tag die Möglichkeit gehabt, ihn irgendetwas Beliebiges zu fragen – was wäre das gewesen?«
    Das war leicht. Ich wusste genau, welche Frage ich mir bei meiner ersten Begegnung mit Wun Ngo Wen verkniffen hatte. »Ich hätte ihn über den Spin befragt. Über die Hypothetischen. Ob sein Volk etwas in Erfahrung gebracht hatte, was wir noch nicht wussten.«
    »Und haben Sie später mit ihm darüber sprechen können?«
    »Ja.«
    »Und hatte er viel dazu zu sagen?«
    »Viel, ja.«
    Ich sah zur Bühne. Eine neue saluang- Gruppehatte sie betreten. Einer der Musiker spielte eine Rabat; er schlug mit seinem Bogen gegen den Bauch des Saiteninstruments und grinste. Es folgte ein weiteres anzügliches Hochzeitslied.
    »Ich fürchte, ich habe Sie gerade ein bisschen ausgefragt«, sagte Ina.
    »Tut mir Leid. Ich bin immer noch etwas erschöpft.«
    »Dann sollten Sie nach Hause gehen und schlafen. Das ist eine ärztliche Anweisung. Mit ein bisschen Glück werden Sie Ibu Diane morgen wiedersehen.«
    Wir gingen die laute Straße hinunter, ließen die Feierlichkeiten hinter uns. Die Musik spielte bis fünf Uhr morgens. Ich schlief trotzdem tief und fest.
     
    Der Fahrer des Krankenwagens war ein magerer, wortkarger Mann in der weißen Uniform des Roten Halbmonds. Sein Name war Nijon. Er schüttelte mir mit übertriebener Ehrerbietung die Hand und hielt seine großen Augen auf Ibu Ina gerichtet, während er mit mir sprach. Ich fragte, ob ihn die Fahrt nach Padang unruhig mache. Ina übersetzte seine Antwort: »Er sagt, er habe schon gefährlichere Sachen aus weniger zwingenden Gründen gemacht. Er sagt, es sei ihm ein Vergnügen, einen Freund von Wun Ngo Wen kennen zu lernen. Er sagt, dass wir so schnell wie möglich aufbrechen sollten.«
    Also kletterten wir in den Fond des Krankenwagens. An einer der Seitenwände befand sich ein horizontaler Stahlschrank, in dem normalerweise medizinische Ausrüstung gelagert wurde. Außerdem konnte man ihn als Sitzbank benutzen. Nijon hatte den Schrank ausgeräumt, und wir stellten fest, dass es mir möglich war, mich hineinzuzwängen, wenn ich meine Beine in den Hüften und den Knien abknickte und meinen Kopf irgendwie unter die Achsel klemmte. Der Schrank roch nach antiseptischen Mitteln und Latex und war ungefähr so bequem wie ein Affensarg, aber genau dort würde ich mich aufhalten müssen, falls wir an einem Kontrollpunkt angehalten wurden – dazu Ina auf der Bank in ihrem Arztkittel und En auf einer Tragbahre ausgestreckt, in seiner Rolle als KVES-Infizierter. Im heißen Morgenlicht erschien der Plan närrischer, als mir lieb war.
    Nijon hatte kleine Keile in die Abdeckung des Schranks geklemmt, sodass ein wenig Luft darin zirkulieren konnte. Trotzdem empfand ich wenig Freude bei der Aussicht, in einen dunklen, heißen Metallkasten zu kriechen. Aber ich musste das gar nicht, jedenfalls vorerst nicht. Die Aktivitäten der Polizei, so Ina, konzentrierten sich auf die neue Schnellstraße zwischen Bukik Tinggi und Padang, und da wir in einem lockeren Konvoi mit anderen Dorfbewohnern reisten, sollten wir rechtzeitig vorgewarnt sein, bevor man uns anhielt. So saß ich also erst einmal neben Ina, während sie eine Tropfinfusion in Ens Armbeuge befestigte – ohne Nadel, nur mit Klebestreifen. En war begeistert von dem Täuschungsmanöver und probte schon mal den Husten, ein tief aus der Lunge geholtes Raucherröcheln, das bei Ina ein ebenso theatralisches Stirnrunzeln hervorrief: »Hast du etwa die Nelkenzigaretten deines Bruders gestohlen?«
    En wurde rot. Er habe das lediglich im Interesse einer realistischen Darstellung gemacht, gab er zu verstehen.
    »Ach ja? Pass nur auf, dass du dich nicht in ein frühes Grab schauspielerst.«
    Nijon schlug die hinteren Türen zu, kletterte auf den Fahrersitz und ließ den Motor an. Unsere holprige Fahrt nach Padang begann. Ina sagte En, er solle die Augen zumachen. »Tu so, als wenn du schläfst.« Nicht lange, und sein Atem ging ruhiger, verwandelte sich schließlich in ein sanftes Schnarchen.
    »Er war die ganze Nacht wach von der Musik«, erklärte Ina.
    »Trotzdem wundere ich mich, dass er schlafen kann.«
    »Einer der Vorzüge der Kindheit. Oder des Ersten Alters, wie die Marsianer sagen – habe ich Recht?«
    Ich nickte.
    »Sie haben vier davon, stimmt das? Vier Altersstufen, wo wir nur drei haben?«
    So war es, wie Ina natürlich sehr genau wusste. Von allen Eigenheiten des Lebens in Wun Ngo

Weitere Kostenlose Bücher