Spin
seiner Mutter. »Mach bitte, was Tyler sagt. Er weiß schon, was er tut, und ich weiß es auch.«
Carol starrte ihn an. »Aber ich nicht. Ich habe nicht, ich meine, ich kann nicht…« Dann wandte sie sich ab und ging leicht schwankend, eine Hand gegen die Wand gestützt, aus dem Zimmer.
Ich blieb bei Jason sitzen. Am Morgen kehrte Carol zurück – sie wirkte im doppelten Sinne ernüchtert – und bot an, mich abzulösen. Jason war in einem friedlichen Zustand und brauchte eigentlich keine Pflege, dennoch übertrug ich ihr die Aufsicht und entfernte mich, um ein wenig Schlaf nachzuholen.
Ich schlief zwölf Stunden lang. Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, saß Carol immer noch da, hielt ihrem bewusstlosen Sohn die Hand und strich ihm mit einer Zärtlichkeit über die Stirn, die ich nie zuvor bei ihr gesehen hatte.
Die Erholungsphase begann anderthalb Wochen nach Beginn der Behandlung. Es gab keinen jähen Übergang, keinen magischen Moment. Aber die Phasen der Klarheit wurden länger, und der Blutdruck stabilisierte sich.
Am Abend, als Wun vor den Vereinten Nationen sprechen sollte, stöberte ich einen tragbaren Fernseher auf und stellte ihn neben Jason auf. Carol gesellte sich kurz vor Beginn der Übertragung zu uns.
Wun Ngo Wens Anwesenheit auf der Erde war am letzten Mittwoch offiziell verkündet worden. Sein Porträt beherrschte seit Tagen die Titelseiten, dazu gab es Livebilder, wie er, unter dem schützenden Arm des Präsidenten, über den Rasen des Weißen Hauses schritt. Das Weiße Haus hatte betont, dass Wun gekommen sei, um zu helfen, dass er aber keine Lösung für das Problem des Spins und nicht viel neues Wissen über die Hypothetischen anzubieten habe. Die Reaktion der Öffentlichkeit war entsprechend zurückhaltend gewesen.
Und nun bestieg er das Podium im Sitzungssaal des Sicherheitsrates und trat ans Rednerpult, das man an seine Größe angepasst hatte. »Aber das ist ja nur ein Winzling«, sagte Carol.
»Ein wenig Respekt, bitte«, murmelte Jason. »Er repräsentiert eine Kultur, die älter ist als alle, die es bei uns je gegeben hat.«
»Sieht eher so aus, als würde er den Verband der Schülerlotsen repräsentieren.«
In den Nahaufnahmen wurde seine Würde halbwegs wiederhergestellt. Die Kamera fixierte seine Augen und sein schwer zu fassendes Lächeln. Und als er ins Mikrophon zu sprechen begann, war seine Stimme ganz weich, ja klang fast terrestrisch.
Wun wusste – oder es war ihm von seinen Beratern deutlich gemacht worden –, wie unwahrscheinlich dieser Vorgang auf den durchschnittlichen Erdling wirken musste. (»Wahrhaftig«, hatte der Generalsekretär in seiner Einführung gesagt, »wir leben in einem Zeitalter der Wunder.«) Und so dankte er uns allen in bestem mittelatlantischem Akzent für unsere Gastfreundschaft und sprach dann wehmütig über seine Heimat und warum er sie verlassen hatte, um hierher zu kommen. Er schilderte den Mars als eine fremde, aber ganz und gar menschliche Welt, einen Ort, den man gern einmal besuchen würde, wo die Leute freundlich seien und die Landschaft interessant, wenn auch die Winter, wie er eingestand, sich häufig von einer recht strengen Seite zeigten. (»Klingt wie Kanada«, sagte Carol.)
Dann kam er zum eigentlichen Thema. Alle wollten natürlich etwas über die Hypothetischen wissen. Leider aber wisse Wuns Volk wenig mehr über sie, als hier auf der Erde bekannt sei – die Hypothetischen hatten den Mars eingehüllt, als er gerade auf dem Weg zur Erde war, und die Marsianer standen dem genauso hilflos gegenüber wie wir.
Er könne keine Vermutung über die Motive der Hypothetischen äußern, diese Frage werde seit Jahrhunderten diskutiert, aber auch die größten marsianischen Denker und Gelehrten hätten sie nicht lösen können. Es sei interessant, sagte Wun, dass sowohl die Erde als auch der Mars zu einem Zeitpunkt eingeschlossen worden seien, als sie sich auf der Schwelle zu einer globalen Katastrophe befanden. »Unsere Bevölkerungszahlen nähern sich, genau wie bei Ihnen, der Grenze der Tragbarkeit. Industrie und Landwirtschaft auf der Erde sind in hohem Maße vom Öl abhängig, dessen Vorräte jedoch rapide zur Neige gehen. Auf dem Mars haben wir überhaupt kein Öl, aber wir leben von einem anderen knappen Rohstoff, dem natürlichen Stickstoff. Er treibt unseren landwirtschaftlichen Kreislauf an und setzt der Zahl der Menschen, die unser Planet ernähren kann, eine absolute Grenze. Wir sind mit diesem Problem ein bisschen besser
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