Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)
euch das an! Gut gemacht Kleiner! Du lässt dich nicht unterkriegen, bravo!«
Als er ins Bett musste, schleppte er den Bagger mit und stellte ihn auf das kleine Regal gleich über dem Bett, damit er ihn beim Einschlafen immer im Blick hatte. »Der wird Ingenieur!«, hörte er den Onkel sagen, immer wieder, bis er einschlief.
Im Schmökeralter holte er sich Berge von Büchern über Technik aus der kleinen Pfarrbibliothek gleich neben der Kirche – las über Einstein und Flugzeugbau und begeisterte sich für die Geschichte des Überschallflugs. Er verbrachte die Tage damit, Modellflugzeuge und Schiffe zu bauen, und las nachts heimlich die Lebensgeschichten der großen Wissenschaftler und Erfinder.
Das war der Anfang seiner Leidenschaft für Technik und Forschung. Als er dann vor der Wahl stand, was er studieren sollte, war eines klar, es musste etwas Naturwissenschaftliches sein. Er entschied sich für Physik und Biologie. Während des Studiums kristallisierte sich dann mehr und mehr heraus, dass sein Ding die Neurobiologie war. Das Gehirn und seine Geheimnisse hatten ihn gepackt und ließen ihn nicht mehr los. Und er hatte immer noch die gleiche Leidenschaft. Entdecken, wie etwas funktionierte, war für ihn Spaß, ein Vergnügen, das ihn immer noch bis über beide Ohren strahlen ließ wie einen kleinen Jungen.
Dass er sich nach dem Abschluss des Studiums für Berlin als Wirkungsstätte entschieden hatte, hatte seinen Grund in der Wissenschaftsgeschichte. Ein kurzer Artikel über ein Experiment am MPI für Hirnforschung in Göttingen, den er in jungen Jahren zufällig gelesen hatte, war tief in seinem Gehirn verankert und hatte ihn stark beeindruckt. Damals hatte sich ein Forscher des Instituts in einem Selbstversuch von einem Kollegen ein Loch in die Schädeldecke bohren lassen, um eine Elektrode möglichst nahe ans Gehirn zu bringen. Den Namen des Forschers erinnerte er noch jetzt, Dr. Kornmüller. Dieser brennende Wunsch nach Erkenntnis, hatte ihn zutiefst beeindruckt. Und Kornmüller hatte seine Laufbahn in Berlin-Buch am MPI begonnen. Und als er vor der Wahl zwischen dem MPI in München und der Freien Universität Berlin stand, war es wohl die Erinnerung an diesen Artikel und Alois Kornmüller, die den Ausschlag für Berlin gab.
Kornmüller war einer der Pioniere der Hirnstromregistrierung. Er hatte gemeinsam mit Schwarzer den ersten einsatzfähigen Elektroenzephalographen konstruiert. Mit diesem Gerät war es zum ersten Mal möglich, die elektrischen Vorgänge im Gehirn anhand der von Hans Berger in den 30er-Jahren entdeckten globalen Potenzialschwankungen zu messen, die von der Kopfhaut abgeleitet werden können und als »Hirnströme« bezeichnet werden.
Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschränkten sich die Werkzeuge zur Erforschung des Gehirns auf Seziermesser und Lichtmikroskop. Erkennbar war für die Forscher nur, was sie nach dem Tod mit Hilfe von Lichtmikroskopen in den Gehirnpräparaten sehen konnten. Man erkannte, dass Nervenzellen höchst unterschiedliche, oft bizarre Formen annehmen können und auf hochkomplexe Weise miteinander vernetzt sind. Auch pathologische Veränderungen des Gehirns waren nur feststellbar, wenn sie sich nach dem Tod als Strukturveränderungen im Gehirn zeigten.
Erst in die frühen 50er-Jahren, einige Jahre nach der Gründung der ersten Max-Planck-Institute, begann mit der Erforschung der Hirnströme eine neue Ära. Zunächst blieb die Messung der Hirnströme jedoch unergiebig. Da ihre Herkunft ungeklärt war, lieferten die Messungen wenig mehr als die einfache Beobachtung von Versuchspersonen.
Erst in den 60er-Jahren gelang es Forschern am MPI bei Experimenten an narkotisierten Tieren, die Herkunft der Hirnströme zu klären. Manfred Klee, Hans Dieter Lux und Otto Creutzfeldt, allesamt Schüler von Kornmüller, stellten fest, dass die Hirnströme auf die Aktivität von Nervenzellen in der Großhirnrinde zurückgehen. Damit waren die Signale interpretierbar und die Elektroencephalographie entwickelte sich zu einem unverzichtbaren Messinstrument für Forschung und Medizin.
* * *
Sie hatte Angst. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, als sie in dem dunklen Gang vor der Wohnungstür stand und den Schlüssel ins Schloss steckte. Was würde sie erwarten in der Wohnung ihres Vaters, dem sie ihr ganzes Leben über so gleichgültig gewesen war?
Es roch nach verfaultem Obst, das fiel ihr sofort auf, als sie in den Flur trat. Früher hatte sie mal ein Faible dafür gehabt. Damals
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