Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)
Gedächtnisübertragung durch biochemische Stoffe hin. Abscheulich, wenn ich an die bei diesen Experimenten gequälten und getöteten Tiere denke!«
Paul war erstaunt über dieses unerwartete Statement und war einen Augenblick lang unsicher, wie er darauf reagieren sollte, beschloss aber dann, es weitgehend zu ignorieren. »Wir werden den größten Teil unserer Experimente in vitro durchführen. Ziel der Experimente wird es sein, zu zeigen, ob und unter welchen Bedingungen es zu einer Rückbildung von Spines kommt. Dazu werden wir Nervenzellen aus dem Hippocampus in Gewebekultur mit niedriger Reizfrequenz stimulieren und beobachten. Wir werden die Nervenzellen dabei mit dem Farbstoff GFP, das steht für ‚green fluorescent protein’, markieren, damit wir sie beobachten können.«
Er machte eine Pause, warf einen Blick über die Anwesenden und dann auf seine Armbanduhr, um zu sehen, wie viel Zeit er noch hatte. »Ich möchte Ihnen jetzt noch ein paar Worte zu dem Equipment sagen, das wir einsetzen werden. Ist Ihnen der Begriff ‚Fluoreszenzmikroskopie’ bereits vertraut?«
Die Reaktion der Zuhörer auf diese Frage war geteilt. Paul entschloss sich deshalb, die wichtigsten Grundzüge der Fluoreszenzmikroskopie kurz zusammenzufassen.
»Wir werden mit einem Laser-Scanning-Mikroskop der neuesten Generation arbeiten, dem LSM 510 Meta von Carl Zeiss. Das Mikroskop ist erst seit kurzem auf dem Markt, und wir werden die ersten sein, die ab morgen damit arbeiten können. Laser Scanning Mikroskope arbeiten mit der sogenannten Fluoreszenztechnik und erlauben es, Strukturen und Bewegungsvorgänge in Zellen und Organismen mit einer extrem hohen räumlichen Genauigkeit sichtbar zu machen. Wer von Ihnen weiß bereits etwas über Fluoreszenzmikroskopie?«
Einer der Teilnehmer meldete sich: »Ich hab schon ein bisschen Erfahrung damit. Bei der Fluoreszenzmikroskopie werden Teile der zu untersuchenden Probe mit selbst-leuchtenden Farbstoffen eingefärbt. Dann wird die Probe mit einem farbigen Laserstrahl zeilenweise durchleuchtet. Jedes Mal, wenn der Laserstrahl auf eines der Farbstoffmoleküle trifft, wird das Molekül angeregt und beginnt Licht auszusenden. Auf diese Weise kann man die Bestandteile der Probe sichtbar machen.«
»Ja, richtig. Noch vor einem Jahrzehnt war es unmöglich, das Innere von Zellen zu beobachten, weil Zellen durchsichtig sind und ihre inneren Strukturen zudem durch die Zellmembran, die jede Zelle umhüllt, unzugänglich sind. Durch Einfärben der Zellbestandteile mit selbst-leuchtenden Farbstoffen kann man heute das Innenleben von Zellen sichtbar machen. Sie können sich das vorstellen wie einen Fußgänger, der die Straße vor Ihnen in völliger Dunkelheit überquert. Erst wenn der Fußgänger von einer Lichtquelle, zum Beispiel von den Scheinwerfern Ihres Autos, angestrahlt wird und das Licht reflektiert, wird er für das Auge sichtbar. Zurück zur Zelle. Das von den eingefärbten Zellbestandteilen ausgesandte Licht wird von einem Detektor erfasst und anschließend von einem Computer analysiert, der aus den Daten zwei- oder mehrfarbige Bilder zusammensetzt.«
Paul warf einen weiteren Blick auf seine Uhr. Die Zeit war fast um, und er hatte auch genug gesagt. Alles Weitere würde sich während der Arbeit ergeben. Er bedankte sich für die Aufmerksamkeit und beendete das Kick-off-Meeting. Es dauerte keine fünf Minuten, bis alle sich verabschiedet hatten und er alleine zurückblieb. Irgendwie hatte er gehofft, dass Sarah noch bleiben würde, um ihm eine Frage zu stellen oder sich für den Platz im Praktikum zu bedanken, aber sie war einfach mit den anderen verschwunden, ohne ihn noch einmal anzulächeln. Er merkte, dass ihn das sonderbar berührte. Fast war er ein bisschen enttäuscht.
Als er das Institutsgebäude verließ, bemerkte er den Lieferwagen am Hintereingang des Labors. Der Fahrer war gerade dabei, die Kisten mit dem neuen Mikroskop abzuladen und ins Labor zu schaffen. Er kehrte um und half dem Fahrer, die Kisten auf den Transportwagen zu laden und über die kleine Rampe ins Labor zu rollen.
Als der Fahrer sich verabschiedet hatte, stand er noch eine ganze Weile unschlüssig vor den Kisten. Am liebsten hätte er sofort mit dem Auspacken angefangen. Aber ohne Supporttechniker machte das wenig Sinn. Und der würde erst morgen ab 8 Uhr zur Verfügung stehen. Trotzdem verharrte er noch ein paar Augenblicke fast andächtig vor dem Kistenstapel. Endlich. Auf dieses neue Mikroskop hatte er
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