Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)
wohl irgendwann zum Ende hin.
* * *
Mark saß zusammengekauert auf einem Stuhl in der Küche und hielt die Kaffeetasse mit beiden Händen zwischen den Knien, als wollte er sich aufwärmen. Sarah holte sich einen Klappstuhl und setzte sich ihm gegenüber. Ihr Vater hatte ein Sammelsurium an Stühlen in seiner Wohnung, jeder ein Einzelstück und keiner passte zum anderen. »Zufall oder ein Tick von ihm?«, sinnierte sie und ließ ihren Blick und ihre Gedanken übergangslos zu Mark hinüber gleiten, der auf einem türkis lackierten Jugendstilstuhl saß, der so gar nicht zum restlichen, eher coolen Stil der Einrichtung passte. Ein Alien zwischen all den anderen Möbeln. Und damit passte er irgendwie zu Mark, der durch seine seltsame Art auch die Ausstrahlung eines Alien hatte. Sarah spürte sofort, dass Mark etwas ganz Besonderes war. Für so was hatte sie ein hypersensibles Radar entwickelt, in den 22 Jahren, die sie mittlerweile über den Planeten ge-cruised war.
»Woher kennen Sie meinen Namen?« Marks Stimme war sehr sanft, irgendwie schüchtern.
»AB…« Sie machte eine lange Pause, in der sie Mark prüfend ansah. »… Anrufbeantworter.«
Marks Augen suchten das Gerät. Klar, völlig sinnlos, aber immerhin eine Bewegung, die es ihm erlaubte, ein wenig von seiner Anspannung abzubauen. Auch so was checkte Sarah sofort und wusste, dass sie Mark unter Kontrolle hatte, wie viele Männer zuvor. Sie war ein Kontrollfreak und versuchte zu manipulieren, wann immer sie eine Chance dazu hatte. Je klarer ihr wurde, dass Mark vor Unsicherheit auseinanderzufallen drohte, desto komfortabler fühlte sie sich. Sie fand ihr Verhalten irgendwie auch scheiße, aber es war einfach ein zu gutes Gefühl. Damit zu spielen, konnte sie sich nur sehr selten verkneifen.
»Du hast Probleme, oder, deswegen jammerst du auf den AB und schleichst hier herum!«, ging sie frontal auf Mark los. Sie wollte antesten, wie stabil er war, oder besser gesagt, wie labil. Denn Mark war wohl eher einer von der labilen Sorte. Und dieser Angriff würde ihm sicher den Boden wegziehen. Aber Mark reagierte anders, als sie erwartet hatte. Er wurde plötzlich ganz ruhig. Die Attacke schien ihn eher zurück ins Gleichgewicht gebracht zu haben. Sarah war erstaunt. Aber vielleicht war das ja der Stil, den er gewöhnt war und den er brauchte, um sich gut zu fühlen.
»Ja, ich brauche Hilfe«, sagte er mit einer entwaffnenden Direktheit und mit dieser sanften Stimme, die überraschenderweise ziemlich erotisch auf Sarah wirkte. Sie konnte spüren, wie sie einen Moment lang wackelte, so eine leichte Bewusstseinstrübung, die sie immer kriegte, wenn ihr jemand an die Wäsche ging. Meist war für diesen Effekt eine Hand notwendig, aber manchmal schaffte es einer auch mit einer guten Stimme oder so. Sie wehrte sich sofort vehement dagegen, denn Mark war absolut nicht ihr Typ – definitely »no go«. Sein Äußeres passte nicht im Geringsten zu dieser Stimme. Da gab es auch nicht eine Sekunde lang Deckungsgleichheit in Sarahs Augen. Er war gedrungen gebaut, einsvierundsiebzig, höchstens, kompakt, Typ »Grubenarbeiter«, kam ihr in den Sinn, obwohl sie Grubenarbeiter nur von vergilbten Fotos in historischen Büchern kannte. Und das Schlimmste, er hatte keine Nase. Breite, fleischige Nasenflügel und eine undefinierte Spitze, die etwas höher lag als die Flügel. Kurzum, eine Nase ohne jede Elegance, kein Clint Eastwood, eher Rooney oder Forrest Gump. Und dazu auch noch ganz klare blaugraue Augen, sanft und jungenhaft. Ein Kumpeltyp, der aus der Pubertät nie heraus gekommen ist, aus dem Lausbubenalter mit Baumhaus Bauen und Übernachten im Zelt draußen. No go! Mark war nicht ihr Typ, unvorstellbar, ihn anzufassen oder sich von ihm anfassen zu lassen.
»Hier kriegst du keine Hilfe mehr. Er ist tot. Der, den du suchst, ist tot. Macht keinen Sinn mehr, sich hier zwischen den Mülltonnen herumzudrücken«, sagte sie und bemühte sich, extrem knallhart und ungerührt zu klingen – Untertext: »Verpiss dich du Arsch!«
»Ich muss unbedingt mit Dr. Langer sprechen, unbedingt, es ist sehr wichtig.« Mark sah sie immer noch unverändert direkt aus seinen blaugrauen Augen an, als hätte er einfach nicht verstanden, was sie gesagt hatte. Jedes seiner Worte hörte sich dabei seltsam inständig an. Sarah spürte, dass sie nicht nur einfach dahingesagt waren. Für Mark ging es um etwas sehr Wichtiges. Und dazu kamen diese Augen, die etwas sehr Verwirrtes ausstrahlten. Sie
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