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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rawi Hage
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hätte ich mich nur der alten Dompteurstricks entsinnen müssen, er wäre gleich auf den Rücken gerollt und eingeschlafen. Ich sprang über den Zaun und stahl alle Blumen in ihrem Garten. Ich öffnete die hintere Wagentür und den Kofferraum, stellte alles voll mit Töpfen und fuhr mit der ganzen duftenden Natur im Rücken davon, eine nette Abwechslung von dem klammen Schuhgeruch, den meine Kunden hereintrugen. Ich sollte im Wagen einen Garten anlegen, dachte ich: Ein paar Kakteen auf dem Armaturenbrett gegen die Diebe, die mir ans Geld wollen. Rosen würden aus dem Lautsprecher sprießen und die Kommunikation zwischen dem Fahrgast und seiner Umwelt verbessern. In der Karnevalszeit könnte ich einer Kletterpflanze erlauben, das Auto in Blattwerk zu hüllen. Ich würde zur Rettung des Planeten, letztendlich der ganzen Menschheit beitragen. Ich könnte Obst anbauen … genau, Obst und Gemüse … einen Forst … wenn ich mir nur etwas Mühe gäbe, könnte ich schon bald in meinem Rückspiegel Wiesen und Weiden sehen … eines Tages …
    Ich fuhr nach Hause und ging zu Zainab. Als sie die Tür öffnete, begann ich sofort, die Blumen hereinzutragen, ich brachte immer mehr Töpfe, bald war das ganze Wohnzimmer voll. Sie war außer sich vor Freude, sie beugte sich lachend über die duftenden Blüten, und je mehr ich hereintrug, desto mehr strahlte sie. Als ich fertig war, stellte ich mich mitten in den Garten, dessen Schöpfer ich war, und schlug vor, im Schutz des Blattwerks die Kleider abzulegen und ein Spiel zu spielen, das schon in der Bibel eine Rolle spielt und das unter Kindern gelegentlich als Doktorspiel bezeichnet wird.
    Kommt nicht infrage, sagte sie.
    Die Hellseherin lächelte breit und sah mich mit großen Augen an, als könnte sie meine Gedanken lesen. Eine Amateurin, dachte ich, ein Scharlatan. Bestimmt war der Kollege eingeweiht, wahrscheinlich fickte er sie. Er brachte ihr mehr Kunden, als sie brauchte, und hielt die Hand dafür auf. Oder er ließ sich anderweitig bezahlen. Wie einfallslos!
    Als Erstes fragte sie mich, ob ich nicht die Toilette benutzen wolle. Ein alter Trick, den ich noch aus den Zeiten kannte, als ich mit dem Zauberlehrling Pips die Leute um ihre Portemonnaies erleichterte. Fünfundneunzig Prozent der Leute sagen Ja. Dann huscht das erste milde Lächeln über die Lippen der Betrügerin, und das bedeutet: Aha, habe ich es doch gewusst . Natürlich sagt man Ja, schließlich wird man daran erinnert, dass man etwas in seinem Inneren verborgen hält, woraus der Wunsch entsteht, sich dessen zu entledigen. Es ist eine Reaktion, die in der Tradition des freudschen Unbewussten steht und mit den sokratischen Formeln zu tun hat, die es erlauben, Wissen sowie das Brechgift zu entziehen, ein flüssiges a priori , der spektakuläre Ausfluss eines angeborenen Bewusstseins, ein gnostischer Wassersturz. Nicht auszuschließen, dass uns der letzte Tropfen dazu verleitet, einen zarten Determinismus abzusondern, das synthetisierte Potenzial der Porzellanhygiene auszuschöpfen, um zum Beispiel einen schmerzhaften Nierenstein zurückzulassen oder einen großartigen, gelben Sonnenuntergang … Es ist ja so, dass die Kunden einer Hellseherin meist von weit anreisen, natürlich müssen sie aufs Klo. Sie rechnen mit einer Sitzung von mindestens einer Stunde, so lange braucht die Unbekannte, um die Seelen der Verstorbenen an ihren Tisch zu locken. Wer käme da nicht auf den Gedanken, sich vorher zu erleichtern? Ja, sagte ich also und führte mein eigenes prophetisches Talent vor: Sagen Sie nichts, ich denke, die Toilette ist dort. Anmutig glitt ich an den Ort, der das Wasser barg, die Quelle allen Lebens.
    Als ich ins Zimmer zurückkehrte, reichte sie mir einige kleine Steine. Jeder sollte mehrere Dollar kosten. Edelsteine, erklärte die Frau, als ich mich über den Preis beklagte. Edelsteine, wiederholte sie, dann hieß sie mich schweigen und verdrehte die Augen. Ich musste die Steine fest in die Handflächen drücken. Sie las mir mein Chakra, meine Aura oder irgendein anderes exotisch-nebulöses Paket. Doch als sie die Augen schloss, erhob sich meine innere Stimme, die wie eine alte Dame sprach: Wo sind nur die Blumen, Florence? Wer hat meine Vasen gestohlen, meine Blumen?
    Sie riss erstaunt die Augen auf und sprang aus dem Sessel. Was haben Sie da gesagt?, fragte sie.
    Es hörte sich an wie Mickeymaus auf Helium, als ich herausquetschte: Blumen, wer hat mir meinen Garten genommen?
    Die Hellseherin

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