Spinnen füttern
hoffst auf ein Wunder, ganz schön ungezogen für einen Ungläubigen, rief sie lachend.
Der Fromme versündigt sich, wenn er nicht freigiebig ist …
Es nützt dem Heiden nicht zu hoffen! Willst du mir etwas erzählen?, sagte sie, inzwischen lächelten wir uns an.
In der Tat, sagte ich. Wo wir doch gerade über verlorene Seelen gesprochen haben und diese Sachen, ich bin gestern am Bolero vorbeigekommen, wo die Taxifahrer zwischen ihren Schichten zur Fütterung kommen und großspurig ihr Seemannsgarn spinnen. Nummer 55, ein frommer Mann, der Gott und seine zahlreichen Gesetze fürchtet, wurde von der Zentrale zum Supermarkt geschickt, wo eine Kundin wartete, eine alte Dame, die um Hilfe mit ihren Einkäufen bat. Er nahm die Tüten und stellte sie in den Kofferraum, aber er weigerte sich, einen Kasten Bier anzurühren, den sie gekauft hatte. Er erklärte, dass er Alkohol nicht anrühre, auch keine geschlossenen Flaschen. Die Dame war aufgebracht. Er sollte also die Tüten wieder aus dem Kofferraum nehmen und ihr einen anderen Wagen rufen. Doch auch dies verweigerte die 55 mit dem Hinweis, in der Tüte könne sich ein Stück Schwein verbergen oder ein anderes verbotenes Lebensmittel. Woraufhin die Alte versuchte, die Tüten selbst aus dem Kofferraum zu heben, wobei sie sich, wie sie jetzt behauptet, den Rücken verletzte. Sie hat den Fahrer und das Taxiunternehmen verklagt! Die alte Frau hat eine Menge Geld, sie hat sich irgendeinen Staranwalt genommen. Warte es ab, bald ist das ganz groß in den Nachrichten. Den Journalisten läuft schon das Wasser im Mund zusammen, schließlich geht es um den Islam und seine Gesetze. Terrorismus, Frühstücksfernsehen, Säkularismus und Religion, irgendwelche Spaßmacher blasen übergroße Einkaufstüten auf und lassen sie knallen, und das Publikum klatscht und haut sich auf die Schenkel!
Und, Zainab? Jetzt sag mal, wie siehst du die Sache?
Ich habe nichts gegen Alkohol. Ich bin Muslima, und ich trinke Alkohol.
Ja, das habe ich gemerkt. Aber wie bewertest du diese Geschichte?
Na ja, der Mann hat offensichtlich ein ziemlich beschränktes Textverständnis, er nimmt alles wörtlich.
Und dein Textverständnis hat mehrere Ebenen? Stimmt das?
Ja, das Heilige Buch kann man auf verschiedene Weisen lesen.
Gnosis, den wenigen vorbehalten, sagte ich.
Nein, nicht den wenigen, sagte Zainab. Aber man muss den Willen haben und die Fähigkeit zum Verständnis.
Eine kleine, ausgewählte Gemeinschaft! Ein Geheimnis! Die Interpretation ist doch veränderlich, sagte ich, sie lässt sich anpassen. Glaubst du, dass wir selbst die übelsten Verse als Allegorien lesen sollten, dass sie weiser und größer sind, als es zuerst scheint?
Ja, genau.
Aber Zainab, meine liebste Nachbarin, sollte man nicht vielleicht das ein oder andere streichen, mit einem Stift, der lang genug ist, andere Kontinente zu erreichen, andere Orte? Ist doch wahr! Ein solcher Stift wäre eine großartige Erfindung, auch für Anwälte und Schriftsteller.
Nein, sagte sie. Man braucht nichts zu ändern oder zu streichen. Man muss den Versen nur ihren Kontext lassen.
Wir verlassen also die Ebene des Wörtlichen und bewegen uns ins Poetische, falls nötig, auch ins Allegorische. Ist es so? Man verändert das, was einem nicht passt, und beharrt ansonsten auf der Stasis …
Betrachte es als intellektuelle Herausforderung, eine Übung der Vernunft und Vorstellungskraft, antwortete sie.
Intellektuelle Masturbation, grummelte ich.
Was hast du gesagt?
Ich habe gesagt, dass wir all diese heiligen Texte als Geschichten lesen sollten, als Fiktion, und dass es gerade die Fehler sind, die uns erregen und Tränen oder Erektionen hervorrufen.
Erektionen, ja? Habe ich diesmal richtig gehört?
Ich meine Erektionen des Denkens, des Intellekts.
Ich muss jetzt los, sagte sie. Deine Anzüglichkeiten werden langsam kindisch. Deine »intellektuellen« Probleme – sie malte mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft – arbeitest du am besten selbst aus … Sei mal ehrlich, Fly, hast du je wirklich Verantwortung für etwas übernommen? Hast du mal daran gedacht, dich niederzulassen, dein rastloses Leben zu ändern, vielleicht dein Leben mit jemandem zu teilen … mit Hund und Kind?
Nein, nein. Warum soll man Kinder in die Welt setzen, in diese lachhafte Welt? Aber Zainab, da du nun schon spät dran bist und dein Zug wohl längst abgefahren ist, man sieht den Bollywood-Schauspieler regelrecht, wie er zum Abschied mit seinem Schal
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